Kommentar: Meine Meinung, deine Meinung
■ Grundrecht ist für alle da
Erich Mielke dürfte sich auf die Schenkel klopfen: Seit die Regierung nach Berlin umgezogen ist, hat Innensenator Werthebach nichts anderes im Sinn, als die große Säuberung der Innenstadt auszurufen. Dabei argumentiert er frei nach einer Szene aus dem Kinofilm „Die Akte Jane“, in der der Kommandeur einer Eliteeinheit der US-Army seinen Rekruten die Welt erklärt: „Wenn ich Ihre Meinung hören will, dann sag' ich Ihnen vorher, welche!“
Nach dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit wollen die Christdemokraten und so mancher Sozialdemokrat das Demonstrationsaufkommen in der City beschränken. Das Argument: Individuelle Freiheitsrechte Dritter würden massiv beeinträchtigt.
Nach dem Grundrecht auf Shopping und Gasgeben aber sucht man im Grundgesetz vergebens. Den Ausschlag, bei welcher Teilnehmerzahl die Meinungsfreiheit in Mitte anfängt, soll die Zahl der Demonstranten geben, die – voraussichtlich – zu einer Kundgebung erscheinen. Der Wert einer Meinung wird unvermeidbar an der Zahl der Personen bemessen, die diese teilen. Außer Acht gelassen wird, dass vor allem derjenige auf das Versammlungsrecht angewiesen ist, der die Mainstream-Meinung gerade nicht vertritt.
Die Entscheidung über Versammlungen im medienträchtigen Herzen der Hauptstadt wäre nichts anderes als willkürlich: Wiegt die Betroffenheit von 30 Timoresen, deren Verwandte gerade umgebracht wurden, weniger als die von 200 Brandenburger Bauern, die sich über das Sparpaket empören? Und wer soll das entscheiden?
Zur Lösung des Problems sei Werthebach (CDU) und Lorenz (SPD) die Einführung eines Demo-Koeffizienten empfohlen: Man erstelle eine Wertigkeitsskala, die festlegt, ob und zu welchem Prozentsatz das Anliegen einer Demonstration einen „politischen Gegenstand in Deutschland“ (Werthebach) hat. Das Ergebnis teile man durch die erwartete Zahl der Teilnehmer, wobei die Schätzungen von Polizei und Veranstaltern zu gleichen Teilen zu berücksichtigen sind. Wenn das Ergebnis nicht 42 lautet, muss die Kundgebung leider im Tegeler Forst stattfinden – wo die Demonstranten dann mit den Wölfen heulen dürfen. Andreas Spannbauer
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