Kommentar: Entzaubert Haider! ■ Jetzt sind Bürger, Künstler und Journalisten gefordert
Bekanntlich war Adolf Hitler Österreicher, der Nationalsozialismus eine österreichische Erfindung, und die Deutschen sind nur unglückliche Opfer einer österreichischen ideologischen Invasion geworden. Oder? Also gilt es, „den Anfängen zu wehren“, nicht erneut in den Fehler der Appeasement-Politik der Dreißigerjahre zu verfallen und Österreich im zwischenstaatlichen Bereich zu isolieren, falls eine Rechtskoalition unter dem Millimetternich Schüssel in Wien die Macht ergreift. So weit, so unsinnig.
Gegen eine Regierungsbildung mit Haiders Partei muss in der Tat, auch international, mobilisiert werden. Dafür sprechen nicht nur seine den Nazismus verteidigenden Äußerungen und seine ausländerfeindliche Politik, sondern mehr noch die Gefahr, dass sich in Haiders Gesellschaft das antidemokratische Potenzial seines Koalitionspartners, der Österreichischen Volkspartei, frei entfalten kann. Mit einem Satz: dass sich das gesamte politische Klima in Östereich weit nach rechts verschiebt.
Aber diese Mobilisierung darf sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht der Instrumente staatlichen Handelns bedienen. Das ist ein schieres Gebot der Staatsklugheit. Denn eine Intervention auf der Ebene der Europäischen Union oder seitens einzelner ihrer Mitglieder gegen Österrreich hätte nur Trotzreaktionen zur Folge. Weit über den Dunstkreis Haiders hinaus würden sich dicht „die Reihen schließen“ gegen die ausländische Einmischung. Das lehrt die Erfahrung aus der Affäre um den ehemaligen Wehrmachtsoffizier und späteren Bundespräsidenten Kurt Waldheim. Die allzu billige Kritik an Österreich verschleiert nur die Untätigkeit der europäischen Institutionen gegenüber Staaten, in denen täglich massiv Menschenrechte verletzt werden.
Aufgerufen zur Einmischung sind statt der EU-Staaten also die demokratischen Parteien, Bürgerinitiativen, Medien, wissenschaftlichen und kulturellen Institutionen, bis hin zum ehemaligen Direktor des Wiener Burgtheaters, der von der Zitadelle des Berliner Ensembles herab endlich mal was Vernünftiges mitteilen kann.
Jörg Haider zu entzaubern ist kein großes Kunststück. Allerdings unter der richtigen Themenstellung: nämlich der des Kampfes gegen völkische Demagogie und gegen Fremdenhass.
Christian Semler
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