piwik no script img

Kommentar zur politischen Lage in PolenAuf dem Weg zum Rechts-Staat

Kommentar von Barbara Oertel

Im Rekordtempo fahren Jarosław Kaczyński und seine PiS Gewaltenteilung und Pressefreiheit herunter. Doch noch ist Polen nicht verloren

Für sie geht alles den rechten Weg: Kaczyński-Anhängerinnen bei einer Demonstration in Warschau. Foto: ap

E in Budapest an der Weichsel wolle er errichten, verkündete der Chef der polnischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jarosław Kaczyński, vor einigen Wochen und spielte auf die Politik des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán an. Dafür, dass die PiS erst so kurz an der Macht ist, sind die Bauarbeiten erstaunlich weit fortgeschritten.

Staatspräsident Andrzej Duda pfeift auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichts und verweigert weiterhin die Ernennung dreier Richter, die noch das vorherige liberalkonservative Parlament bestimmt hatte. Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung, das war gestern.

Auch die Medien werden gerade auf PiS-Linie gebracht – mit sattsam bekannten Methoden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll wieder verstaatlicht werden. Journalisten, die sich erdreisten, die Regierung zu kritisieren, werden bedroht. Oder, wie im Falle einer TV-Moderatorin, für einige Zeit vom Dienst suspendiert. Einige ausländische Medienvertreter überlegen schon genauer, was und wie sie berichten, wollen sie nicht ihre Akkreditierung riskieren.

In Staatsbetrieben und im öffentlichen Dienst wird ebenfalls gnadenlos durchregiert, indem Führungsposten mit willfährigen PiS-Parteigängern besetzt werden. Selbst in der EU versucht die PiS-Regierung, ihre sogenannten nationalen Interessen mit der Brechstange durchzusetzen. Für Flüchtlinge, die zu Tausenden nach Europa kommen, fühlt sich Warschau nicht zuständig. Dafür aber umso mehr für polnische Arbeitnehmer in Großbritannien, die betroffen sein könnten, sollten Sozialleistungen für EU-Bürger gekürzt werden.

Es regt sich Protest gegen die Regierung. Dieser Hilferuf muss gehört werden

Und dennoch gilt, was in der ersten Strophe der Nationalhymne steht: Noch ist Polen nicht verloren, Die Umfragewerte für die PiS fallen. Es regt sich Protest, wie am vergangenen Wochenende, als in Warschau und anderen Städten Polens Zehntausende gegen die Regierung auf die Straßen gingen.

Dieser Hilferuf des anderen Polen darf in Brüssel nicht ungehört verhallen. Auch wenn es unter den gegebenen Umständen schwierig ist, adäquat auf die jüngste politische Entwicklung in Polen zu reagieren: Wer die vielbeschworene demokratische Wertegemeinschaft ernst nimmt und bereit ist, für sie auch einzutreten, kann ein zweites Budapest in Europa nicht tolerieren. Alles andere wäre eine Bankrotterklärung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • "Wer die vielbeschworene demokratische Wertegemeinschaft ernst nimmt und bereit ist, für sie auch einzutreten, kann ein zweites Budapest in Europa nicht tolerieren. Alles andere wäre eine Bankrotterklärung."

     

    Ach so, aber ein Ungarn kann man akzeptieren, wenn man die demokratische Werteordnung ernst nimmt? Dass CDUCSU mit Fideaz in einer Fraktion sitzen, ist natürlich keine Bankrotterklärung.

    Diese Logik soll Frau Oertel mal erläutern. Entweder ist die EU schon jetzt nicht mehr demokratisch und stattdessen Bankrott oder sie wird es durch Polen auch nicht.

  • Gleichschaltung = "Ziel war es, ... den als Zerrissenheit verstandenen Pluralismus in Staat und Gesellschaft aufzuheben" (Wikipedia)

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "...kann ein zweites Budapest in Europa nicht tolerieren."

     

    Hoffentlich ist der Autorin bewußt, dass auch in Polen zur Änderung der verfassungsgeschützten Rechte und Rechtsstaatsstrukturen eine 2/3 Mehrheit erforderlich ist? PiS hat keine, die Regierungskoalition in Ungarn dagegen schon.

    • @10236 (Profil gelöscht):

      Lieber Jaroslaw Majchrzik,

      glücklicherweise hat die Regierung in Ungarn seit zwei Ersatzwahlen vor einigen Monaten auch keine 2/3-Mehrheit mehr.

      Im Übrigen ist es etwas traurig, dass die Autorin der Taz in diesem Fall eine Lanze für das "andere Polen" bricht, während wir Ungarn in dieser Zeitung immer wieder einem kollektiven Faschismusverdacht ausgesetzt sind, als würden wir alle rechtsradikal wählen.

      Schöne Grüße von einem Leser aus dem "anderen Ungarn".

  • 1G
    19412 (Profil gelöscht)

    Der Kommentar ist leider sehr einseitig und stellt die Situation sehr unvollständig dar.

    Von der TAZ kann man neutralere und vollständigere Kommentare erwarten.

    PiS räumt auf, das ist korrekt - aber das ist auch sehr dringend nötig. Vor allen Dingen beim Trybunał Konstytucyjny, welches von PO komplett mit eigenen "Anhängern" besetzt wurde und keinesfalls "neutral" überwacht. Ausserden hatten div. Richter bei einem Komplott mitgewirkt, um PO Richter "auf Vorrat" zu besorgen. Mißtrauen diesen gegenüber ist hier also angebracht und gerechtfertigt. Die Vorgehensweise bezüglich der Änderungen ist strittig, auch unter Juristen, und sollte daher nicht einfach in Grund und Boden gestampft werden. Sollen die doch klären...

    Die Medien sind jetzt komplett auf PO-Linie und keineswegs unabhängig. PO hatte alle "Gegner" entsorgt. Der Plan ist nicht, die Medien auf PiS-Kurs zu bringen, sondern reine Propagandasender zu verhindern (wie es jetzt der Fall ist).

    Werden in D bei einem Regierungswechsel nicht auch viele "Pöstchen" neu vergeben? Warum ist das ausgerechnet in Polen negativ ?

    Und warum erwähnen Sie nur den Protest der PiS-Gegner und nicht der PiS-Anhänger. Das waren nämlich am Sonntag nach polnischen Presseberichten fast doppelt so viele.

  • Besorgniserregend.

    Und in allen Staaten gleich viel Nationalismus blockiert die Verständigung.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @nzuli sana:

      Stimmt. Siehe Pegida und AfD in Deutschland...