Kommentar zur Grenzsicherung in Calais: Noch höhere Zäune?
Die EU-Millionenhilfen machen es nicht besser: Die Eskalation der Abschreckung am Ärmelkanal wird das Elend der Flüchtlinge verschlimmern.
D as Flüchtlingsproblem in Calais wird endlich von der EU zur Kenntnis genommen. Doch nicht, weil permanent 3.000 Menschen in diesem Engpass am Ärmelkanal stranden und unter skandalösen Bedingungen warten müssen, bis sie es trotz aller Hindernisse nach Großbritannien schaffen. Der wahre Grund der Reaktion aus Brüssel ist das Klima, das wegen der Situation in Calais zwischen London und Paris vergiftet wird.
Für den vermeintlichen Beitrag zur Entspannung lässt die EU nun problemlos ein paar Dutzend Millionen Euro springen. Was soll mit diesem Geld finanziert werden? Noch höhere Zäune, tiefere Gräben, elektronische Schranken, mehr Polizisten? Die letzten Monate haben in tragischer Weise bewiesen, dass damit nur die Risiken für die Migranten steigen.
Der Fluchtweg von Calais nach Dover wird zu einer politischen Reise nach „Absurdistan“. Eine wirkliche, das heißt für alle Beteiligten befriedigende Lösung hat niemand. Letztlich gäbe es freilich zwei radikale Auswege: Entweder Frankreich lässt die Migranten, die nicht bleiben wollen, durchreisen. Eigentlich wäre es nicht an Frankreich, für die Briten, die sich nicht dem Schengen-Abkommen anschließen wollten, die Grenzen zu kontrollieren. Diese undankbare Aufgabe übernahm Frankreich aber mit dem Abkommen von Touquet von 2003.
Das könnte, wie dies jetzt demagogische Oppositionspolitiker in Nordfrankreich fordern, aufgekündigt werden. Das wäre ein Affront gegenüber den Briten. Die zweite ebenso drastische Maßnahme könnte sein, dass Großbritannien systematisch alle Migranten aus Calais über den Ärmelkanal zurück abschiebt. Dann wären die Franzosen stinksauer.
So drohen Frankreich und Großbritannien unter dem Druck von Populisten je mit politisch unmöglichen Kurzschlusshandlungen. Für die Migranten aber planen sie eine Eskalation der Abschreckungspolitik, die das Elend für die Flüchtlinge und die Schande für Europa nur vergrößert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen