Kommentar zur Europawahl: Wählen, wen man will
Die europäische Willensbildung ist fehlorganisiert.
D ie Klage über das Desinteresse an Europa ist so alt wie das Europäische Parlament. Aber heute ist es gar nicht mehr in erster Linie die Machtlosigkeit der vermeintlichen "Quasselbude" in Brüssel und Straßburg, die die Menschen von den Urnen fernhält. Im Gegenteil: Dass dort immer mehr Entscheidungen fallen, die unseren Alltag bestimmen, ist längst an den Stammtischen angekommen.
Die europäische Willensbildung ist schlicht fehlorganisiert. Völlig undurchschaubar ist, was genau man mit seinem Kreuz bewirkt. Zu ändern wäre das leicht: Europa bräuchte Wahlkreise. Dann würden alle Kandidaten vor Ort für sich selbst kämpfen und nicht mehr nur für ihre Partei - und erheblich mehr Enthusiasmus dafür aufbringen, den Bürgern zu erklären, was in Brüssel wichtig ist. Das Verklappen von Partei-Altlasten auf der Europa-Liste hätte ein Ende - denn sie hätten schlicht keine Chance.
Das Gegenargument ist erwartbar: Das würde doch nur regionale Egoismen fördern! Stimmt. Aber bei 785 Abgeordneten aus 27 Ländern lassen sie sich nicht einfach durchsetzen. Kompromisse müssten dann nur entlang anderer Linien gefunden werden als bisher.
Wer Wahlkreise zu miefig-piefig findet, kann ja mal drüber Nachdenken, das in Hamburg erfolgreich erprobte Häufeln und Verteilen von Stimmen auf Europa anzuwenden. Dann könnte jeder wählen, wen er will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!