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EuropawahlWahl der Unbekannten

31 Parteien stellen sich am Sonntag für das europäische Parlament zur Wahl. Zumeist ist jedoch undurchsichtig, wen man wählt, wenn man wählt. Denn unbekannte KandidatInnen werden gerne versteckt.

Wer zieht ein ins Europaparlament in Straßburg? Bild: dpa

Fast einen Meter ist der Zettel lang, auf dem 31 Parteien um Zustimmung buhlen. Selbst die Bayernpartei (BP) stellt sich bis hinauf in den hohen Norden zur Wahl - zur Europawahl, denn die ist am Sonntag. Und wenn vier von zehn Wahlberechtigten zur Urne schreiten, wäre das schon viel. Denn europäische Politik ist zwar irgendwie wichtig, aber für die meisten Menschen viel zu abstrakt, um attraktiv zu sein. Und selbst die Auswahl unter den KandidatInnen ist alles andere als transparent.

Wer sich in Norddeutschland für Silvana Koch-Mehrin, das menschliche Antlitz des Neoliberalismus, erwärmt, bekommt Gesine Meißner. Die 57-jährige Berufsschullehrerin aus Wennigsen im Deister ist die ranghöchste FDP-Politikerin im Norden - auf der blaugelben Bundesliste steht die Niedersächsin auf dem aussichtsreichen Platz 5. Das mag schön sein für Frau Meißner, aber wen in Schleswig-Holstein, Hamburg oder Bremen interessiert es, ob sie über den Deister geht oder nicht?

Vergleichbar ist die Lage bei den Freien Wählern (FW), die erstmals nach Europa drängen und sich als dritte Kraft im bürgerlichen Lager etablieren wollen. "Ich bin das Zugpferd", gibt Spitzenkandidatin Gabriele Pauli zu, die vor zwei Jahren als CSU-Rebellin zu bundesweiter Prominenz gelangte. Wer wegen der vom Boulevard als "schöne Landrätin" gefeierten Fränkin das Kreuz bei Liste 27 macht, bekommt Annette Nussbaumer. Die 47-jährige "Mutter und waschechte Hamburgerin", so die Eigenwerbung, ist auf Platz 4 der Bundesliste die einzige Norddeutsche mit Chancen - sofern die FW die Fünf-Prozent-Hürde überspringen.

Zur Urne

In Norddeutschland dürfen am Sonntag etwa 10,2 Millionen Menschen bei der Europawahl abstimmen, darunter auch die BürgerInnen anderer EU-Staaten. Als bevölkerungsreichstes Land stellt Deutschland 99 der 736 Abgeordneten in Brüssel und Straßburg.

Vor fünf Jahren sank die Wahlbeteiligung in Deutschland auf den Tiefstand von 43,0 Prozent. Im Norden war sie unterdurchschnittlich: Am höchsten mit 40,1 Prozent in Niedersachsen, am niedrigstem in Hamburg mit 34,9 Prozent.

Die sollte für Linke und Grüne kein Problem sein. Aber auch bei diesen beiden Parteien, die sich unverdrossen basisdemokratischer Relikte rühmen, ist unklar, wen man wählt, wenn man sie wählt. Die Linke plakatiert fast nur ihren Spitzenkandidaten Lothar Bisky und versteckt dafür Sabine Wils. Die 49-jährige Personalratsvorsitzende der Hamburger Umweltbehörde wird auf Platz 2 als einzige Nordlinke sicher ins EU-Parlament einziehen - wenngleich weitgehend unbekannt in der eigenen Partei, in Hamburg ohnehin und im Rest des Nordens sowieso.

Prominenter ist da die Spitzenkandidatin der Bundesgrünen, Rebecca Harms aus dem Wendland. Nach langer politischer Karriere in Niedersachsen und seit 2004 in Brüssel und Straßburg will die 52-Jährige nun Fraktionsvorsitzende der europäischen Grünen werden. Mit dem einstigen Attac-Aushängeschild Sven Giegold aus Verden/Aller (Platz 4) und der Bremerin Helga Trüpel (Rang 9) dürfte der Norden dreifach grün werden.

Gleich vier SozialdemokratInnen werden den Norden in Europa vertreten dürfen, darunter sogar eine Schleswig-Holsteinerin. Ulrike Rodust, die ehrenamtliche Bürgermeisterin von Holzdorf bei Schleswig, hat auf Platz 12 ihr Mandat ebenso sicher wie die beiden Niedersachsen Bernd Lange (6) und Matthias Grote (11); auch der Hamburger Knut Fleckenstein (18) dürfte es schaffen.

Damit steht er deutlich besser da als Birgit Schnieber-Jastram (CDU). Die langjährige Bundestagsabgeordnete, Sozialsenatorin und Zweite Bürgermeisterin firmiert als Hamburger Spitzenkandidatin - für einen Erfolg aber müssten Wahlbeteiligung und CDU-Ergebnis in der Hansestadt mindestens so hoch ausfallen wie vor fünf Jahren, als der Kandidat Georg Jarzembowski auf den letzten Drücker reüssierte. Schuld daran ist die CSU. Weil die bayrische Schwesterpartei sich einer gemeinsamen Liste mit der CDU hartnäckig verweigert, muss jeder Landesverband für sich selbst kämpfen. Bevor also Schnieber-Jastram ins Parlament kommt, sitzen da schon ein halbes Dutzend Parteifreunde aus dem bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen, Bremer ChristdemokratInnen sind chancenlos.

Zuversichtlich können dagegen wegen der höheren Zahl der Wahlberechtigten und erwartbar guten Ergebnissen Reimar Böge aus Schleswig-Holstein und Hans-Gert Pöttering aus Niedersachsen sein. Letzterer ist sich seiner Sache so sicher, dass er auf kandidatenwatch.de noch keine der an ihn gerichteten Fragen beantwortet hat. Dabei sind es nur acht, denn so viele Menschen gibt es gar nicht, die vom amtierenden Präsidenten des EU-Parlaments etwas wissen wollen.

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