Kommentar Offener Brief an Erdoğan: Kluger Kotau

Demutsgesten gegenüber Autokraten sind gefährlich. Doch dass der „Welt“-Chefredakteur Erdoğan um Deniz Yücels Freilassung bittet, ist richtig.

Springer-Hochhaus mit Aufschrift "Free Deniz"

Nach #FreeDeniz versucht die „Welt“ es mit einem ofenen Brief an Erdoğan Foto: dpa

Der Chefredakteur der Welt hat sich vor dem türkischen Präsidenten in den Staub geworfen. In einem offenen Brief schreibt Ulf Poschardt dem Autokraten Recep Tayyip Erdoğan, dass er sich um den Korrespondenten Deniz Yücel sorge.

Poschardt berichtet Erdoğan, wie sein Vater einst als Modernisierungshelfer im türkischen Finanzministerium das Land bewundert habe. Wie er nun seinerseits seinen Söhnen vermittle, dass in der Türkei die Wiege von Kultur, Sprache und Architektur liege. Wie viel Türkei und Deutschland verbinde. Dass er, Erdoğan, jetzt ein Signal setzen könne. „Bitte lassen Sie ihn frei.“

Demutsgesten der freien Presse gegenüber ihren Gegnern sind gefährlich. Sie bestätigen jene, die meinen, man müsse nur hart genug gegen die Medien vorgehen, um sie in den Griff zu kriegen. Der Eindruck, dass man über Ländergrenzen hinweg ihr Einlenken erzwingen kann, ist an sich die falsche Botschaft.

Deshalb ist es wichtig, dass Erdoğans Willkür weiter angeprangert wird. Dass sich kritische Stimmen aus der Türkei artikulieren können. Die Kampagne für die Freilassung der mehr als 150 in der Türkei eingesperrten Journalistinnen und Journalisten muss unvermindert weitergehen. Journalismus ist kein Verbrechen.

Erdoğan muss stark erscheinen

Dennoch ist Poschardts Brief richtig. Sein Ziel ist es, Deniz Yücel freizubekommen, den der Autokrat als Geisel genommen hat. Der Chefredakteur verspricht nichts, er entschuldigt sich nicht. Er macht sich allerdings klein, damit sich Erdoğan größer machen kann. Er setzt darauf, dass der Präsident vom Bild des starken Mannes lebt, der jedes Armdrücken gewinnen muss.

Es gehört zum Wesen des Autoritären, keine Schwäche zeigen zu können

Es gehört zum Wesen der Autoritären, keine Schwäche zeigen zu können. Gerade jetzt muss Erdoğan stark erscheinen. Am 16. April soll das Volk in einem Referendum entscheiden, ob der Präsident schier unbegrenzte Macht bekommt.

Doch Erdoğans Kampagne ist kein Selbstläufer. Da klein beizugeben, wenn Auftritte seiner Minister in Deutschland unterbunden werden, wäre gegen seine Logik: Wer schwach wirkt, hat verloren. Deshalb eskaliert er diesen Fall, auf den die Scheinwerfer gerichtet sind. Solange sich aber der Schlagabtausch fortsetzt, wird Erdoğan Deniz Yücel kaum freilassen.

Die Option, die Freilassung als Sieg zu verkaufen

Nun wendet sich Poschardt an ihn. In seinem Brief tritt er als Bittsteller auf. Er behauptet, Deniz Yücel vertraue auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren. Er würdigt die Biographie des Präsidenten, der selber im Gefängnis war.

Gerade indem Poschardt dem sehr geehrten Herrn Staatspräsidenten so offensichtlich um den Bart geht, zeigt er ihm die Option, eine Freilassung von Deniz Yücel als Sieg verkaufen zu können. Springer ist einer der größten Medienkonzerne Europas. Noch ein bisschen mehr Kotau – und die Möglichkeit für eine von Erdoğans Stärke-Inszenierungen könnte sich auftun.

Es kann auch gut sein, dass ein Poschardt samt Verlag dem Präsidenten zu unbedeutend ist. Dass ihm einzig ein Moment des Triumphes über Angela Merkel genug wäre. Aber eine kleine Hoffnung besteht. Dass der Chefredakteur die Chance ergreift, verdient Respekt.

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