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Kommentar zum Pariser AnschlagWann gewinnen Terroristen?

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Verteidigung der Liberalität muss die Antwort auf den Terror sein. Doch die französische Demokratie steht vor einer harten Probe.

Noch ist Frankreich im Schmerz vereint. Doch es droht eine Spaltung der Gesellschaft Bild: ap

D ie Terroristen von Paris verfolgen zwei Ziele. Sie wollen Medien und Öffentlichkeit einschüchtern – nicht nur in Frankreich. Wenn wir, Journalisten und Öffentlichkeit, klammheimliche Selbstzensur zulassen, waren die Gewalttäter erfolgreich. Deshalb ist es richtig, dass Zeitungen gestern die religionskritischen Charlie-Hebdo-Karikaturen nachgedruckt haben. Nun Dutzende von islamkritischen Schmähkarrikaturen zu veröffentlichen, hätte aber etwas Trotziges. Die souveräne Antwort lautet: unbeeindruckt weitermachen wie bisher.

Die zentrale Absicht der Radikalislamisten ist noch gefährlicher. Ihre Schüsse zielen auf die Zerstörung der zivilen Textur der Gesellschaft. Sie sollen einen Bürgerkrieg zwischen Muslimen und Nichtmuslimen provozieren. Die Kalaschnikow-Salven auf Wehrlose sollen eine Spirale von Selbstghettoisierung und Abschottung, von Gewalt und Gegengewalt in Gang setzen. Das erinnert an die Logik linksextremen Terrors, der den Krieg von den Rändern in die Metropole tragen wollte. Der einzige Erfolg der RAF war die Überreaktion des Staats.

Der Anschlag von Paris ist ein Akt politischer Kommunikation. Er soll unser Denken und Fühlen steuern. Die deutsche Politik hat darauf bemerkenswert unaufgeregt reagiert. Innenminister Thomas de Maizière warnte, Islam oder Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen. Der Zentralrat der Muslime verurteilte den Terror – rasch, eindeutig, ohne „Ja, aber“. Die Botschaft dieses Konsens von de Maizière bis Aiman Mazyek lautet: Wir lassen uns nicht in Muslime und Nichtmuslime spalten.

Das ist nicht selbstverständlich. Vor zehn Jahren, nach dem Mord an dem Islamkritiker Theo van Gogh, forderten Christdemokraten von Muslimen Distanzierungen. Ein gefährlicher Diskurs, der Spaltungen vertiefte. Offenbar haben Konservative und muslimische Verbände dazugelernt. Jenseits des Konsenses der Demokraten steht 2015 die AfD, die vom Ressentiment lebt. Alexander Gauland benutzt die Opfer von Paris perfide, um Pegida zu loben. Es ist eine zivile Tugend, dass die Union mit Gauland nicht gemeinsame Sache macht.

Frankreichs Lage ist nicht klar

In Frankreich ist die Lage weniger klar. Nach dem Massaker gab es Schüsse auf Moscheen, die Rechtsextreme Marine Le Pen träumt von Todesstrafe und vom „Krieg gegen den Fundamentalismus“. Die Mechanik des Hasses scheint in Gang zu kommen. Wenn sich weite Teile der Mehrheitsgesellschaft und der muslimischen Minderheit als Opfer des anderen fühlen, haben die Radikalislamisten gesiegt.

Die französische Demokratie steht vor einer harten Probe. Die kriselnde, etablierte politische Klasse muss sich von linksaußen bis ins rechtsbürgerliche Lager gegen den Front National verbünden. Le Pen taktisch entgegenzuwirken, Feindbilder zu bedienen, um den Rechtsextremen den Wind aus Segeln zu nehmen – wird misslingen. Nicht Kulturkampf, sondern die Verteidigung der Liberalität ist die Antwort auf den Terror.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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23 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Wir haben gewonnen wenn wir "Charlie" im Dorf lassen.

    • @errol flynn:

      Ich meine wir haben gegenüber dem Terror gewonnen wenn wir Charlie im Dorf lassen.

  • Guter Kommentar. Chapeau !

  • "unbeeindruckt weitermachen wie bisher"

    Nur merkwürdig, daß das kein linker Kommentator gesagt hat - damals nach dem Terroranschlag von Anders Breivik in Norwegen.

    • @Stechfliege:

      Was hat sich seit dem denn geändert?

  • @Dudel Karl: Sie haben leider gar nichts verstanden. Wer sich von anderen vorschreiben lässt, was er sagen darf, darf irgendwann gar nichts mehr sagen. http://wp.me/p14g2B-wo

    • @Rouven Polanski:

      Nee, das kann der DK ausweislich seiner vielen gleich lautenden Kommentare nicht verstehen, ist aber leider "typisch deutsch", oder?

       

      Na, nicht nur Religionsfaschisten ahben mit dem Inahlt von Freiheit so ihre Probleme.

  • Der Satiriker hat - wie jeder andere Publizist auch - eine Verantwortung für Stimmungen zu übernehmen, die er mit seinen Publikationen beeinflußt. Ein lapidares "Satire darf alles" wird dem längst nicht gerecht. Es muß klar sein: Mit bestimmten Inhalten werden derzeit Radikalisten provoziert, deren Reaktionen nicht berechenbar und nicht beherrschbar sind. Ob nun der Publizist selber oder Andere diesen Reaktionen ausgesetzt sind, spielt keine Rolle. Hier wird bewußt mit dem Feuer gespielt und sich hinter einer als Freibrief mißverstandenen Meinungsfreiheit verschanzt, die tatsächlich aber den, der seine Meinung äußert, nicht von seiner Verantwortung bzw. Mitverantwortung entbindet.

     

    Ein feiges Attentat war der Anschlag von Paris, aber "Angriff auf die Pressefreiheit" oder gar die Freiheit als solche mißt Charlie Hebdo eine Bedeutung bei, die es nicht hat. Wäre die Pressefreiheit im Visier der Täter gewesen, hätten sie eine der großen, seriösen Tageszeitungen mit Millionenauflage angegriffen, nicht ein Nischenblatt, das bis vorgestern so gut wie niemand kannte.

    • @Dudel Karl:

      Was genau wollen Sie mit Ihrem ersten Absatz sagen? Dass alles, was von Irgendjemandem als provokant empfunden wird, nicht mehr erlaubt sein sollte? Das wäre der Tod der Meinungsfreheit.

       

      Die Idee, der Westen hätte eine besondere Verantwortung radikale Muslime nicht zu provozieren, ist einfach nur chauvinistisch ("The white men's burden";"half devil and half child"). Jeder Erwachsende, auch ein IS-Milizionär kann freie Entscheidungen treffen und ist für jene auch verantwortlich.

       

      Pressefreiheit misst sich daran, dass selbst die kleinsten und frechsten Medien toleriert werden.

       

      Pressefreiheit der großen, gemäßigten Medien, die in etwa die Meinung der Durchschnittsgesellschaft teilen, ist nichts besonderes. Das gibt es auch in Putin's Russland.

       

      Zudem war Charlie Hebdo kein Nischenmagazin, sondern eins der beiden zentralen französischen Satiremagazine. Diese Art von rotzfrecher Satire ist eine zweihundert Jahre alte französische Tradition und fester Bestandteil der französischen politischen Kultur.

       

      Zudem führt ein solcher Anschlag dazu, dass Islamkritiker um Leib und Leben fürchen müssen. In einer freien Gesellschaft sollte man ohne empfunde Furcht um Leib und Leben seine Meinung äußern können.

       

      Zusammengefasst war es klar ein Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit. Jedoch war dieser, wie die Reaktionen der französischen Öffentlichkeit und des verbliebenden Charlie Hebdo-Teams zeigen, nicht erfolgreich.

  • Die Terroristen gewinnen übrigens auch dann, wenn sich die Menschen in Europa hinter dem Ruf "Je suis Charlie" vereinigen, es aber kaum jemanden zu kümmern scheint, dass in dem nordnigerianischen Dorf Baga soeben mehrere Tausend Menschen massakriert wurden. Wo bleibt die allgemeine Erschütterung und der Ruf "Je suis Baga"? Liegt das vielleicht daran, dass so manche ein eher instrumentelles Verhältnis zum Terror pflegen? Da nur "unsere" (europäischen) Opfer des Terrors zu zählen scheinen, muss man sich die Frage stellen, ob vielleicht die Kulturkämpfer mit ihrer rassistischen Agenda und ihrer völkischen Meute von AfD, Pegida bis zur CDU/CSU einfach viel zu viel Einfluss in der Gesellschaft haben, sodass der Terror von vielen nur dann als Problem wahrgenommen wird, wenn er "unsere Leute" trifft?

    • @Rudeboy:

      So sieht´s aus und nicht anders.

    • @Rudeboy:

      Zustimmung

  • Liberalität läßt sich nicht verteidigen, sie läßt sich nur leben. Statt dessen versuchen die Verteidiger der Liberalität alle unter Generalverdacht zu stellen - oder wie lassen sich die zunehmenden Kontrollen aller vor dem Fliegen und beim Betreten anderer "Sicherheitszonen" interpretieren? Solange wir Bürger das mit uns machen lassen, haben die Terroristen schon die Nase vorn...

  • Es wäre für die französischen Bürger überhaupt nicht weise sich von irgend einer Seite provozieren zu lassen.Weder von Karikaturisten die man in iher Art auch als Extremisten bezeichnen kann, nämlich als geistige, denn die Karikaturen entbehren jeden Kontextes und sind reine Schmähung.

    Was aber soll erzeugt werden ? Gräben natürlich, Gräben über die keine Brücken jemals wieder führen und die Eskalation soll alle Fakten und Problematiken tief begraben damit alle

    geistigen und politischen Führer fein raus sind.Sprich der Dialog der Kulturen soll erstickt werden und das Gesetz des Schweigens soll wieder einkehren damit bloß nicht die mangelnden Kompetenzen in Bezug auf den Menschen, auf westlicher und der andern Seite zu Tage treten und offensichtlich wird das der Rahmen des Lebens auf beiden Seiten nicht stimmt.Die groß posaunte Freiheit die es im Westen zu verteidigen gilt ist in Wirklichkeit auf ein paar Rechtchen beschränkt, der Rest wird vom Kapital bestimmt.Also warum sollte man sich von Geistern aufs Glatteis führen lassen die im Beifall untergehen wollen und vielleicht noch andere mitreißen wollen ? Den Bürgerrechten bringt dies wenig und morgen gehts um die Wohnung den Arbeitsplatz u.s.w. während man sich für die totale Freiheit die sich die Oben einfach herrausnehmen aufraucht.

  • Wenn es dem Nationalismus Auftrieb gibt. Deshalb sind auch Schweigeminuten, die einer ganzen Nation verordnet werden, so wie heute in Frankreich geschehen, für kompletten Unfug. Das ist psychische Zwangsnationalisierung.

  • Je suis Charlie !!!

    • @Gerda Fürch :

      moi, je ne suis définitivment pas charlie!

       

      mir wird allerdings die sehnsucht der vielen charlies, auch märtyrer zu werden, immer unheimlicher.

      • @christine rölke-sommer:

        Ja, es erinnert an die Kriegsbesoffenheit, die man aus Erzählungen von 1914 kennt.

         

        Völlig irrational.

      • @christine rölke-sommer:

        Da sind Sie zumindest in guter Gesellschaft des Schweizer Islam-Queerdenkers Tariq Ramadan: "Je condamne les attentats mais je ne suis pas Charlie"

  • Das sozial-politische Übel mit der Wurzel beseitigen:

     

    Das Kernproblem ist und bleibt die zunehmende soziale Ausgrenzung und Deklassierung großer Teile der (werktätigen) Bevölkerung, insbesondere der arbeitslosen Jugend und der vielen Millionen in prekarisierten und schlecht bezahlten Erwerbstätigkeiten, nicht nur in Frankreich, Spanien, Griechenland, Italien und Osteuropa. Dieses Grundproblem kann nicht im Rahmen der bestehenden kapitalistischen Überwachungsgesellschaft --- "Soziale Marktwirtschaft" der Finanz- und Monopolbourgeoisie und deren hündischen und gut-geschmierten staatsmonopolistischen Beamten-Administrationen --- gelöst werden.

  • Wann haben Terroristen gewonnen?

    Wenn der Einzelne sich an schlechten Erfahrungen berauscht und sich einbildet, er/sie habe das Recht, andere stellvertretend dafür zu drangsalieren, sich mit dem "Recht" des Stärkeren "Respekt" zu verschaffen, Verleumdung zu streuen, seine Lebensform anderen aufzwingen zu dürfen.

    Wir müssen alle auf unsere Emotionen aufpassen.

    Und auf die Kalküle der Gegner mit den allzuvielen Gemeinsamkeiten.

  • Die haben schon gewonnen!

     

    Ihr habts nur noch nicht gemerkt oder wollt das nicht wahrhaben....

    • 1G
      12239 (Profil gelöscht)
      @KarlM:

      Richtig Kalle. Die USA ist doch schon Weltmacht!