Kommentar zum Equal Pay Day: Das Ende der Bescheidenheit
Frauen verdienen noch immer 22 Prozent weniger als Männer. Hartnäckig hält sich das Zuverdienerinnen-Image. Und das ist gesellschaftlich konstruiert.
D ie Zeit fragt uns diese Woche provokant: „Ist Genie männlich?“ und weist darauf hin, wie wenig Frauen in wissenschaftlichen Spitzenjobs zu finden sind. Dass das Zentralorgan des linksliberalen Bürgertums sich nicht entblödet, sein Publikum mit dieser Frage „abzuholen“, sagt etwas über das Frauenbild. Und damit auch über die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen, die wie immer 22 Prozent beträgt.
Der Equal Pay Day am 20. März ist der Tag, bis zu dem Frauen in einem Jahr theoretisch umsonst arbeiten, während ihre männlichen Kollegen schon seit Januar ihr Gehalt beziehen.
Das deutsche Genie war ja schon immer männlich. Frauen haben es nicht so drauf. Kein Wunder, die haben ja eher ihre Kinder im Kopf. Sie sind beruflich nicht voll einsetzbar. Und sie üben gern Berufe aus, in denen sie ihre weiblichen Stärken einsetzen können, Pflege und Betreuung und so. Da bekommt man nicht so viel Geld, weil diese weiblichen Stärken, die sind „unbezahlbar“ – also werden sie auch nicht bezahlt.
Das Bemerkenswerte ist, dass der Aufruhr so klein ist. Dass Frauen sich in die Zuverdienerinnenrolle fallen lassen. Dass sie in Umfragen mit ihrem Mickergehalt sogar zufriedener sind als die Männer mit ihrem Lohn. Sie freuen sich, wenn sie überhaupt einen Job finden – wo sie doch auch noch Kinder haben.
Obwohl die gesamte Arbeiterinnenschaft seit Erfindung des Kapitalismus ein Gegenbild sein könnte: Es hält sich das Zuverdienerinnen-Image. Die Damen sind ja so bescheiden. Dass sie Jahrhunderte lang von höherer Bildung ausgeschlossen waren, dass sie, als alle Welt sich in Parteien organisierte, ein Politikverbot hatten, dass die Nazis ihnen Orden fürs Kinderkriegen umhängten – alles vergessen. Nur das Erbe all dieser Einschränkungen, das sieht man heute in der weiblichen Bescheidenheit und naturalisiert die mal eben dazu, dass Frauen eben einfach anders seien.
Die weibliche Bescheidenheit ist nicht natürlich. Sie wurde hergestellt. Und sie wird sich ändern. Und übrigens: Auch das männliche „Genie“ (allein schon der sakralisierende Begriff!) ist hergestellt. Und zumindest bei der Zeit scheint es auch schon arg verblasst – sonst würde ihr diese Frage gar nicht einfallen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen