Kommentar zum Bundeswehrskandal: Die Spitze des Eisbergs
Ihre Kritik an der Bundeswehr ist Ursula von der Leyen nicht vorzuwerfen. Nun muss sie aber auch Konsequenzen ziehen.
A lle Alarmglocken hätten laut schrillen müssen. Da lehnt ein deutscher Oberleutnant in einer Masterarbeit, mit der er sein Studium der Staats- und Sozialwissenschaften an einer Offiziersschule abschließen will, mit wüsten völkischen Begründungen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ab. Nur aufgrund von „Desinformation“ würde der größte Teil der Bevölkerung überhaupt an die Menschenrechte glauben und nicht deren „unheilvollen Charakter“ erkennen, schreibt er. Dabei bilden sie aus seiner Sicht „das Rückgrat der Subversion“ und die „Hauptsäule“ einer „Heterogenisierung der Völker“. Die „Durchmischung der Rassen, Nationen und Religionen“ führe „zu einem Genozid der Völker in Westeuropa“.
196 Seiten umfasst das Traktat, das Franco A. unter dem Titel „Politischer Wandel und Subversionsstrategie“ Ende 2013 an der französischen Elitemilitärschule Saint-Cyr einreichte. Es offenbart eine zutiefst rechtsextremistische Gesinnung, unvereinbar mit Paragraf 8 des Soldatengesetzes: „Der Soldat muss die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung eintreten.“
Doch für den mit dem Fall betrauten Wehrdisziplinaranwalt handelte es nur um eine „wissenschaftliche Schlechtleistung“. Für ihn seien „Zweifel an der erforderlichen Einstellung zur Werteordnung nicht nur nicht belegbar, sondern auszuschließen“. So erhielt Franco A. nur eine Verwarnung und durfte eine neue Masterarbeit schreiben. Im Juli 2015 wurde er zum Berufssoldaten ernannt. Damit war der Fall erledigt.
Bis Franco A. Ende April unter Terrorverdacht auf dem Wiener Flughafen festgenommen wurde. Jetzt ermittelt die Bundesanwaltschaft – und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat ein Problem.
Strukturell anfällig für Rechtsextremismus
Waffen und Uniformen, klare Hierarchien und das Grundprinzip von Befehl und Gehorsam, der immer noch vorherrschende Korpsgeist: Es liegt in der Natur der Sache, dass die Bundeswehr anziehend auf autoritäre Charaktere bis hin zu militanten Neonazis wirkt. Das ist kein neues Phänomen, schon der schillernde Nazi-Kader Michael Kühnen verpflichtete sich einst als Zeitsoldat. Die Truppe war und ist „strukturell anfälliger“ für Rechtsextremismus als andere Bereiche der Gesellschaft, wie der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels zutreffend konstatiert.
Desto entscheidender sind jedoch die Selbstreinigungskräfte der Truppe, das demokratiefeindliche Klientel schnell zu erkennen und auszusortieren. Doch genau da hakt es. Denn der Fall Franco A. – so bizarr er auch in seinen Details erscheint – ist nur die Spitze des Eisbergs.
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In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer weltweit operierenden Interventionsarmee gewandelt. Damit verbunden war die Abschaffung der Wehrpflicht, was die Zusammensetzung der Truppe stark verändert hat und sie immer weniger als Spiegelbild der Gesellschaft erscheinen lässt. Angefangen von Manfred Wörner stellte die Union in 28 der vergangenen 35 Jahre den oder die VerteidigungsministerIn. Sie haben diesen Wandlungsprozess entscheidend gestaltet. Dass dabei der Kampf gegen rechtsextremistische Umtriebe in der Truppe ganz oben auf ihrer Prioritätenliste gestanden hätte, lässt sich nicht gerade behaupten.
Ursula von der Leyen scheint jetzt immerhin die Dimension des Problems begriffen zu haben. Wenn sie in ihrem Anfang der Woche veröffentlichten offenen Brief an die Angehörigen der Bundeswehr einräumt, „dass es in zu vielen Bereichen der Bundeswehr keinen Konsens“ darüber gebe, welches Meinungsspektrum erlaubt sei und wo die Grenze zum Extremismus überschritten werde, dann dokumentiert das akuten Handlungsbedarf. Vorzuwerfen ist ihr nur, das nicht früher erkannt zu haben. Wichtiger ist allerdings, ob sie nun auch bereit ist, gegen alle Widerstände in der Bundeswehr die Konsequenzen aus ihrem Befund zu ziehen.
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