Kommentar zum 180.000-Euro-Mann: Jetzt mal die Kirche im Dorf lassen
CDU und FDP halten dem Senat vor, selbstherrlich und ohne das Parlament zu agieren.
Ja, parlamentarische Kontrolle ist gut. Und ja, 180.000 Euro Jahresgehalt klingen erstmal viel für einen Job, in dem es zumindest nach ersten Darstellungen bloß darum gehen soll, einen Betrieb mit drei Flüchtlingsheimen aufzubauen. Also ist die Kritik von CDU und FDP an Auswahl und Bezahlungen des künftigen Geschäftsführers grundsätzlich nicht ganz unberechtigt. In diesem besonderen Fall aber sollten beide mal die Kirche im Dorf lassen.
Denn worum geht es bei der Idee, dass das Land Berlin auch selbst Flüchtlingsheime betreiben kann? Darum, nicht erneut so hilflos wie im vergangenen Herbst dazustehen, wenn erneut eine Ausschreibung scheitern sollte und zu wiederholen ist. Darum, dann – oder wenn ein privater Betreiber einer Unterkunft bankrott geht oder schlecht arbeitet – sofort einspringen zu können. Das alles kann schon in den nächsten Wochen erneut passieren.
Darum drückt der Senat zurecht aufs Tempo. Ja, vielleicht ließe sich nach mehrmonatiger Job-Ausschreibung und Auswahlverfahren ein Geschäftsführer finden, der für ein paar 10.000 Euro weniger zu haben ist. Doch ein Land mit einem 25-Milliarden-Haushalt und der Erfahrung eines 2015 blamablen Flüchtlingsmanagements sollte dieses Geld übrig haben, wenn es darum geht, zügig neue Probleme zu verhindern.
Umso mehr, weil die Senatsfinanzverwaltung Recht hat, wenn sie den künftigen Chef einen „Glücksfall“ nennt: Der hat in Hamburg über Jahre genau das gemacht, was in Berlin erst entstehen soll. Natürlich hätte er sagen können: Ich als jetziger Pensionär mach das für umsonst. Doch gute Arbeit sollte auch mit gutem Gehalt verbunden sein, und wenn das in anderen Bereichen der Arbeitswelt schon nicht funktioniert, ist das umso mehr ein Grund, wenigstens hier gut zu zahlen.
Das Risiko ist zudem überschaubar: Nur über ein halbes Jahr läuft der Vertrag, mit der Option, sechs Monate dran zu hängen. Unter diesen Bedingungen ist weder die parlamentarische Kontrolle noch das Berliner Gehalts- und Haushaltsgefüge in Gefahr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“