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Kommentar zu Gentrifizierung in BerlinEin Erfolg mit Symbolkraft

Der „M 99 – Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf“ ist gerettet. Der Erfolg ist eine Aufforderung an Kiez und Bezirk, noch mehr gegen Verdrängung zu tun.

Mal sehen, wohin mit all dem Zeug: HG Lindenau in seinem alten Laden Foto: dpa

Die Rettung des legendären Kreuzberger „Gemischtwarenladens für Revolu­tionsbedarf“ hatte sich zuletzt abgezeichnet. Viele Menschen im Kiez, Initiativen und die Bezirkspolitik hatten sich dafür eingesetzt, dass Inhaber Hans-Georg Lindenau, wie jetzt bekannt wurde, in neue Geschäftsräume in der Nähe umziehen konnte. Dennoch ist dieser Erfolg keineswegs selbstverständlich.

Im Fall von „HG“, wie Lindenau genannt wird, kam zusammen, dass er zum einen eine bekannte Nummer in der linken Szene ist, dass sein Laden seit mehr als 30 Jahren existiert und in jedem Reiseführer steht und dass schließlich mit der Stiftung Umverteilen die wohl bestmögliche Vermieterin dem Geschäftsinhaber ein annehmbares Angebot machen konnte.

In den letzten Monaten wurden weitere bekannte Läden gerettet, die von der Verdrängung durch unmögliche Vermieter bedroht waren, darunter die Bäckerei Filou und die Buchhandlung Kisch & Co. Gleichzeitig kämpfen viele andere Geschäfte darum, in den angestammten Räumen bleiben zu können – ohne dass sie auf ebenso große Unterstützung und öffentliche Wahrnehmung hoffen können. Ganz zu schweigen von vielen Anwohnern, die die stetig steigenden Mieten in Friedrichshain und Kreuzberg kaum mehr bezahlen können.

So ist die Sicherung der Existenz des widerspenstigen HG Lindenau und seines Ladens vor allem ein Symbol, dass selbst in verfahrenen Situationen eine Rettung möglich sein kann. Und darüber hinaus eine Mahnung, dass noch viel mehr getan werden muss – von Nachbarn, Initiativen, der Politik. Kein Kiez bleibt allein dadurch lebendig und authentisch, dass lediglich einige Leuchttürme gerettet werden. Sie brauchen ihr soziales Umfeld. Sonst werden ganze Viertel zum Open-Air-Museum für Touristen aus aller Welt.

Wie das aussieht, lässt sich in der Oranienburger Straße in Mitte beobachten. Dorthin strömen viele Berlinbesucher immer noch wegen der längst nicht mehr genutzten Offkulturruine Tacheles, die weiterhin in Reiseführern zu finden ist. Sie finden indes nur noch Kulissen.

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