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Kommentar zu Berliner FeiertagIhr wollt sonst immer deutsch sein

Kommentar von Susanne Memarnia

Was soll eigentlich diese Scheu vor dem 9. November als Feiertag? Er ist einfach ein Tag voller Geschichte. Und wer sagt, dass Feiertag gleich Jubeltag ist?

Ein Datum wie gemacht für Verschwörungstheoretiker: Der 9. November ist und bleibt offenbar ein „deutscher“ Tag Foto: dpa

I st das nicht merkwürdig? Da wird tagein, tagaus über „Leitkultur“, „Heimat“ und „Deutschsein“ diskutiert, ist das halbe Land „besorgt“, „Deutsche“ könnten von „den anderen“ weggemendelt werden. Aber wenn es darum geht, einen „deutschen“ Feiertag zu finden, fällt niemandem ein vernünftiges Datum ein. „18. März“, ruft der Regierende – als ob irgendjemand mit diesem Tag etwas verbindet. „8. März“, tröten andere: Aber wurden Frauenrechte etwa in Deutschland erfunden?

Dabei waren schon bei der Debatte 1989/90 über einen neuen „Nationalfeiertag“ die Argumente gegen den 9. November wenig überzeugend. Der Tag sei kein Jubeltag, hieß es – schließlich fand da 1938 die Reichspogromnacht statt, mit der die Nazis die Vernichtung der europäischen Juden einläuteten. Kein Jubeltag war auch der 9. November 1923 – Hitlers versuchter München-Putsch. Der 9. November 1848 ist ebenfalls ein trauriges Datum (Erschießung des Abgeordneten Robert Blums in Wien, was nach allgemeiner Lesart den Anfang vom Ende der Märzrevolution bedeutete).

Aber wer sagt, dass ein Nationalfeiertag zum Jubeln da ist? Geht es nicht viel mehr um das gemeinsame Erinnern? Wäre es nicht sogar ein verdammt gutes Zeichen, diesen Tag zum Staatstag zu machen – um unmissverständlich für alle festzuhalten, dass „deutsches“ Gedenken unmittelbar mit der Schoah verbunden ist?

Deutschester aller Tage

Und da haben wir über die „schönen“ 9. November noch gar nicht gesprochen: den Mauerfall 1989 und die zweifache Ausrufung der Republik 1918, einmal als „freie und sozialistische“ (Liebknecht im Schloss), einmal als „deutsche“ (Scheidemann im Reichstag).

Man muss nicht der Überhöhung vom 9. November als „deutschem Schicksalstag“ und Sinnstifter für die Berliner Republik zustimmen. Aber dieser Tag ist gerade in all seiner Widersprüchlichkeit ein sehr deutscher. Das kann man schon mal feiern – wenigstens in Berlin.

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Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1969, seit 2003 bei der taz, erst in Köln, seit 2007 in Berlin. Ist im Berliner Lokalteil verantwortlich für die Themenbereiche Migration und Antirassismus.
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2 Kommentare

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  • Sich in Widersprüchlichkeit zurechtzufinden und nicht dem Verlangen nach Eindeutigkeit zu erliegen, wenn diese nicht gegeben ist,



    erfordert gedankliche Anstrengung. Für einen Gedenktag genau richtig.



    Den eigenen Schatten, das Böse nicht ausblenden.



    So war der russische Ministerpräsident u. ehemal. KGB-Chef Primakow sehr davon beeindruckt, dass die Flüche der russischen Soldaten vom April 1945 auf den Mauern des Reichstags erhalten wurden. Er erkannte im Gegensatz zu den neureichen Usurpatoren seines Landes die Stärke dieser Haltung.



    "Zeige Deine Wunden" nannte das mal Joseph Beuys.







    Der 9. November ist ein wunderbarer, trauriger Gedenktag, ob mit oder ohne offiziellen Segen.

  • Dieser Kommentar zeichnet sich durch eine erstaunlich gute Recherche aller relevanten Informationen zu diesem heiklen Datum aus und ein für sich schlüssiges Ergebnis - auch wenn ich aus demokratischen Erwägungen lieber für den 18. März votiere. Im Gegensatz zu einem früheren Kommentar in der Berliner Zeitung zu demselben Thema wurden hier keine Fakten weggelassen oder irreführend dargestellt (als ob nur Liebknecht am 9.11.1918 eine Republik ausgerufen hätte). Damals habe ich mich als Leser manipuliert gefühlt, damit ich mit der Autorin leichter übereinstimme. Bei Ihnen stimme ich mit der Schlussfolgerung nicht überein, fühle mich aber in der Art des Kommentars als Leser ernst genommen - damit ich mein Urteil bilde, gerade auch mal in Abgrenzung zum gelesenen Kommentar. Danke dafür!