Merz’ Anbiederung an die AfD: Das war’s mit der Brandmauer
Merz ist es „gleichgültig“, mit wem er Migrationsgesetze beschließt. Er beklagt den Kontrollverlust des Staates und verliert die Kontrolle über sich.
D ie Union und ihr Kanzlerkandidat Friedrich Merz stürzen sich mit dem Thema Migration den Berg hinab und reißen alles mit sich. Der tödliche Angriff eines psychisch kranken Afghanen auf eine Kita-Gruppe in Aschaffenburg hat CDU und CSU jede Beherrschung im Wahlkampf von sich werfen lassen. Indem die Union den Kontrollverlust des Staates beschwört, verliert sie die Kontrolle über sich selbst.
Letzte Bezüge zum rechtlich Möglichen, zum realistisch Machbaren und vernünftigerweise Wünschbaren gehen unter in wüsten Ultimaten, Ankündigungen und Drohungen. Man darf gespannt sein auf tausende von zusätzlichen Beamtinnen an den Grenzen, tausende von neuen Plätzen in Abschiebezentren, all dies natürlich an „Tag eins“ – ganz zu schweigen von der sofortigen Aussetzung aller EU-Asylregeln, an die Deutschland sich bisher gebunden fühlte.
Wer wie Trump klingt, tritt natürlich auch die hierzulande üblichen Verfahren zur Regierungsbildung in die Tonne. „Mir ist es völlig gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht“, erklärt Merz. Kompromisse seien „nicht mehr möglich“. Und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann: Wenn SPD oder Grüne nicht mitgingen, „dann können wir halt nicht regieren“.
Womit die beiden der AfD die Bühne nicht nur gefegt, sondern auch die Scheinwerfer für sie angestellt hätten: Alice Weidel lädt ein, alles Geforderte doch nächste Woche gemeinsam im Bundestag zu beschließen, es ist schließlich das AfD-Programm. Und Merz reagiert mit: Alles klar, machen wir. Die Union will Anträge stellen, die AfD könne explizit gern mitstimmen. Das war’s mit der Brandmauer. Das ist der Schritt zur Kooperation auf Bundesebene.
Merz neigt zu Kurzschlussreaktionen
Es ist so oft beschrieben worden, dass es wehtut, es zu wiederholen: Wer Ton und Inhalt der Extremisten übernimmt, lenkt die Leute nur dorthin. Stimmt, Nichtstun und Nichtssagen ist keine Option nach einer Tat wie in Aschaffenburg. Aber es hätte für eine konservative Partei möglich sein müssen, auch im Angesicht von Hetzkampagnen-Schlagzeilen verantwortbare Vorschläge zu machen und humanistische Botschaften zu formulieren. Doch die Führung von CDU und CSU ist damit deutlich überfordert.
In den bald zehn Jahren, nachdem Angela Merkel Flüchtlinge für eine überschaubare Zeit einreisen ließ, hat die neue CDU-Spitze nichts aus dem Dilemma der damaligen Kanzlerin gelernt als: „so jedenfalls nicht“. Der Kanzlerkandidat wollte sich seine Neigung zu Kurzschlussreaktionen von den Leuten um ihn herum abtrainieren lassen. Doch diese – Linnemann vorneweg – sind nicht imstande, eine Politik zu formulieren, die von einer immer noch wohlmeinenden, nach Integration und Ausgleich suchenden, mittigen Mehrheit erwünscht wird.
Die Partei, die sich „bürgerlich“ nennt, verrät diese Mitte an die Rechtsextremen, an die Demokratie- und Menschlichkeitsverächter. Die neue CDU ist der Aufgabe nicht gewachsen, die Republik vor der Gefahr von rechts zu schützen. Es ist erbärmlich.
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