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Merz’ Anbiederung an die AfDDas war’s mit der Brandmauer

Ulrike Winkelmann
Kommentar von Ulrike Winkelmann

Merz ist es „gleichgültig“, mit wem er Migrationsgesetze beschließt. Er beklagt den Kontrollverlust des Staates und verliert die Kontrolle über sich.

Hängen sie bald miteinander ab? Foto: revierfoto/picture alliance/dpa/

D ie Union und ihr Kanzlerkandidat Friedrich Merz stürzen sich mit dem Thema Migration den Berg hinab und reißen alles mit sich. Der tödliche Angriff eines psychisch kranken Afghanen auf eine Kita-Gruppe in Aschaffenburg hat CDU und CSU jede Beherrschung im Wahlkampf von sich werfen lassen. Indem die Union den Kontrollverlust des Staates beschwört, verliert sie die Kontrolle über sich selbst.

Letzte Bezüge zum rechtlich Möglichen, zum realistisch Machbaren und vernünftigerweise Wünschbaren gehen unter in wüsten Ultimaten, Ankündigungen und Drohungen. Man darf gespannt sein auf tausende von zusätzlichen Beamtinnen an den Grenzen, tausende von neuen Plätzen in Abschiebezentren, all dies natürlich an „Tag eins“ – ganz zu schweigen von der sofortigen Aussetzung aller EU-Asylregeln, an die Deutschland sich bisher gebunden fühlte.

Wer wie Trump klingt, tritt natürlich auch die hierzulande üblichen Verfahren zur Regierungsbildung in die Tonne. „Mir ist es völlig gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht“, erklärt Merz. Kompromisse seien „nicht mehr möglich“. Und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann: Wenn SPD oder Grüne nicht mitgingen, „dann können wir halt nicht regieren“.

Womit die beiden der AfD die Bühne nicht nur gefegt, sondern auch die Scheinwerfer für sie angestellt hätten: Alice Weidel lädt ein, alles Geforderte doch nächste Woche gemeinsam im Bundestag zu beschließen, es ist schließlich das AfD-Programm. Und Merz reagiert mit: Alles klar, machen wir. Die Union will Anträge stellen, die AfD könne explizit gern mitstimmen. Das war’s mit der Brandmauer. Das ist der Schritt zur Kooperation auf Bundesebene.

Merz neigt zu Kurzschlussreaktionen

Es ist so oft beschrieben worden, dass es wehtut, es zu wiederholen: Wer Ton und Inhalt der Extremisten übernimmt, lenkt die Leute nur dorthin. Stimmt, Nichtstun und Nichtssagen ist keine Option nach einer Tat wie in Aschaffenburg. Aber es hätte für eine konservative Partei möglich sein müssen, auch im Angesicht von Hetzkampagnen-Schlagzeilen verantwortbare Vorschläge zu machen und humanistische Botschaften zu formulieren. Doch die Führung von CDU und CSU ist damit deutlich überfordert.

Die Partei, die sich bürgerlich nennt, verrät die Mitte an die Rechtsextremen

In den bald zehn Jahren, nachdem Angela Merkel Flüchtlinge für eine überschaubare Zeit einreisen ließ, hat die neue CDU-Spitze nichts aus dem Dilemma der damaligen Kanzlerin gelernt als: „so jedenfalls nicht“. Der Kanzlerkandidat wollte sich seine Neigung zu Kurzschlussreaktionen von den Leuten um ihn herum abtrainieren lassen. Doch diese – Linnemann vorneweg – sind nicht imstande, eine Politik zu formulieren, die von einer immer noch wohlmeinenden, nach Integration und Ausgleich suchenden, mittigen Mehrheit erwünscht wird.

Die Partei, die sich „bürgerlich“ nennt, verrät diese Mitte an die Rechtsextremen, an die Demokratie- und Menschlichkeitsverächter. Die neue CDU ist der Aufgabe nicht gewachsen, die Republik vor der Gefahr von rechts zu schützen. Es ist erbärmlich.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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6 Kommentare

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  • "Die Partei, die sich bürgerlich nennt, verrät die Mitte an die Rechtsextremen"

    Kein neues Phänomen in Europa. Österreich, die Niederlande, Dänemark, Norwegen u.a. sind da schon mit schlechten Beispielen vorangegangen.

    Nun zieht Deutschland anscheinend nach und die CDU ist auf dem Weg eine rechtsextreme Partei zu etablieren die selbst der rechten ID Fraktion in Brüssel zu extrem war und darum ausgeschlossen wurde.

    SPD und Grüne sollten darauf eine klare Antwort geben und deutlich machen, dass sie für eine Koalition unter der Führung von Friedrich Merz nicht zur Verfügung stehen.

    Dann kann er nach der Wahl sein Glück bei der AfD ja einmal versuchen.

  • Die sogenannte Brandmauer lief doch seit jeher mitten durch die CDU/CSU. Sie hat auch immer wieder mit Rassismus und Sündbock-Kampagnen Wahlkampf geführt, nicht selten erfolgreich. Leider ist die Scholz-SPD nicht in der Lage, moralisch und argumentativ dagegenzuhalten.

  • Merz legt im Vorfeld der Wahlen die Messlatte für zukünftige Koalitionsverhandlungen bewusst hoch, indem er keine Asylbewerber mehr einreisen lassen will. "Kompromisse sind bei diesen Themen nicht möglich", so O-Ton Merz



    Damit soll verhindert werden, dass sich SPD oder Grüne darauf einlassen können. Somit wäre der Weg für Koalitionsverhandlungen mit der AFD frei. Merz könnte dann behaupten, SPD und Grüne seien nicht koaltionsfähig gewesen und deshalb sei er gezwungen, die AFD zu Koalitionsgesprächen einzuladen. Österreich lässt grüßen.



    Was natürlich auch sein kann, dass eine der beiden Parteien diesen Schritt mitgehen, und letztendlich das Asylrecht weitgehendst abschaffen, bzw. soweit einschränken, dass es gerade noch mit dem Europarecht vereinbar ist.

  • Ich wage die Prognose, dass die CDU in den Umfragen einbrechen wird, sollte es Hr. Merz wagen, seine Vorstellungen mit Hilfe der AfD (und FDP) durch den Bundestag zu bringen. Man sollte die konservative Mitte der Wähler nicht so unterschätzen, denn dort wird "Anstand" immer noch hoch geschätzt.

  • 6 von 5 Goldene Steigbügel für Merz. Wer weder aus der Geschichte noch aus der Situation in Österreich lernt, sollte besser nicht Kanzler werden. Nicht ein ggf. gescheitertes Verbotsverfahren macht die Rechtsradikalen hoffähig sondern das charakterlose Verhalten einiger Unionspolitiker mit Merz an der Spitze.

  • Was kann man da noch ergänzen. Schrecklich.