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Kommentar von Stefan Reinecke zu Robert Habecks Idee der Sozialabgaben auf KapitalerträgeKeine Zahlen sind auch keine Lösung

In Deutschland sind nicht, wie oft beklagt, die Steuern zu hoch – sondern die Abgaben für die Sozialsysteme. Die zahlt vor allem die Mittelschicht von ihrem Arbeitseinkommen. Fast nirgends in Europa berappt die Mittelschicht so viel an Staat und Sozialsysteme wie in Deutschland – mehr als 40 Prozent ihres Einkommens. Die Mittelschicht gibt prozentual mehr von ihrem Einkommen für Steuern und Sozialsysteme ab als Reiche. Das widerspricht der Idee der progressiven Steuern, dass Reiche mehr zahlen sollen.

Diese Schieflage wird noch krasser werden. Die Kosten für Gesundheit steigen. 2024 haben die gesetzlichen Krankenkassen in neun Monaten ein Minus von fast vier Milliarden angehäuft. Dafür gibt es auch gute Gründe, so werden Pflegekräfte endlich etwas besser bezahlt. Aber: Die Gesellschaft altert, Gesundheit wird teurer werden. Dass dies Unternehmen und vor allem die Normalverdiener zahlen müssen, ist nicht nur ungerecht. Es macht auch Arbeit immer teurer.

Robert Habeck hat eine Idee, wie sich dieser Missstand mildern ließe. Auch wer Dividenden, Zinsen oder Miete kassiert, soll für die Krankenkassen blechen. Das klingt einleuchtend. Denn das deutsche System schröpft kräftig Arbeitseinkommen und lässt Vermögen weitgehend ungeschoren. Auch wer Umverteilung skeptisch sieht, müsste verstehen, dass es fair wäre, auch Kapitalerträge und nicht nur Arbeit zu belasten.

Doch wie immer, wenn Umverteilung gefordert wird, tobt nun ein Empörungsorkan, professionell angefacht von Lobbygruppen samt medialem Begleitschutz. Die Arbeitgeber sind fassungslos, die FDP sieht brave deutsche Sparer und Rentner von Enteignung bedroht. Habeck wirkt angesichts dessen überfordert. Wer denn mehr zahlen soll, können die Grünen leider nicht sagen. Irgendwie Millionäre. Die Idee steht übrigens etwas vereinsamt auf Seite 41 des Wahlprogramms – ohne Daten, Zahlen, Argumente. ­Habeck wirkt mal wieder wie der Virtuose der Worte, der es mit Zahlen aber nicht so hat.

Doch das Problem sitzt tiefer. Die Umverteilungsideen der Grünen sind allesamt sehr vage formuliert. Das ist ein Effekt von 2013. Damals hatten die Grünen auf Euro und Cent ausgerechnet, wer bei ihren Steuerplänen wie viel (mehr) zahlen würde. Die übliche Empörung brach los. Auch die besser verdienende grüne Klientel reagierte teils missmutig. Damit war die Sache verloren. Die Grünen haben aus dieser Niederlage offenbar das Falsche gelernt. Keine Zahlen sind jedenfalls auch keine Lösung. Die Idee, Sozialabgaben auf Kapitalerträge zu erheben, ist übrigens auch verbrannt, weil sie nicht durchdacht war. Denn Millionäre sind sowieso meist privat versichert.

Die Mittelschicht zahlt prozentual mehr Steuern und Sozial­abgaben als Reiche

Für Umverteilungspolitik lässt sich aus diesem Scheitern etwas lernen: Um die Empörungsstürme zu überstehen, braucht man Verbündete. Die fehlen hier. Auch die Krankenkassen sind eher skeptisch. Man muss nicht alles exakt ausrechnen, aber immer plausibel machen, wer mehr zahlt und wer nicht. Sonst wird man von inszenierten Angstwellen weggespült.

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