Lockerung der Schuldenbremse: Bitte jetzt mal eine große Koalition der Vernunft
Ja, der Staat braucht viel mehr Geld – noch mehr als gedacht. Union, SPD und Grüne sollten sich im noch amtierenden alten Bundestag zusammenraufen.
J etzt haben wir den Salat. Der Bund braucht jede Menge Geld. Doch die Mehrheitsverhältnisse im neuen Bundestag erschweren es massiv, den Staat mit ausreichenden Finanzen auszustatten. Deshalb sind Erwägungen bei SPD und Grünen nachvollziehbar, die Schuldenbremse im Grundgesetz jetzt noch mit der alten Mehrheit zu lockern. Bei der Union geht es hin und her.
Seit der Münchner Rede von US-Vizepräsident J. D. Vance wissen wir, dass der transatlantische Westen zerbröselt. Der Europäischen Union droht die Gefahr, von Moskau herumgeschubst zu werden. Dagegen helfen nur starke europäische Truppen und eine einsatzfähige Bundeswehr. Mittlerweile werden Militärausgaben von 3 Prozent der Wirtschaftsleistung gefordert – das wären rund 120 Milliarden Euro pro Jahr, fast 70 Milliarden mehr als jetzt.
Und es gibt noch die anderen Herausforderungen: die Krise des deutschen Wirtschaftsmodells, die verminderte Lebensqualität durch marode Infrastruktur und die nötigen Ausgaben für Klimaschutz. ÖkonomInnen nennen dafür einen zusätzlichen Investitionsbedarf von 60 Milliarden Euro jährlich. So beläuft sich die gesamte Finanzlücke auf eine Größenordnung von 130 Milliarden Euro. Das sind keine Summen, die sich beschaffen lassen, indem man das Bürgergeld kürzt und Bürokratie abbaut.
In der Kosovo-Frage ging es auch
Vordringlich ist die Finanzierung der Bundeswehr im kommenden Jahrzehnt. Aber AfD und Linke werden im neuen Bundestag da wohl nicht mitmachen. Sie haben genug Sitze, um die Zweidrittelmehrheit zu verhindern, die für die Änderung der Schuldenbremse erforderlich ist. Dagegen verfügen Union, SPD und Grüne jetzt noch über die nötige Mehrheit, um die Schuldenbremse zu lockern – grundsätzlich oder mit einem höheren Bundeswehr-Sondervermögen.
Aber darf die alte Mehrheit das? Ja, bei der Kosovo-Sondersitzung 1998 ging es auch. Und sie muss: Außenpolitische Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit sind die Voraussetzungen für alles andere. Dieses Argument wiegt schwerer als der Respekt, der neuen Mehrheit nicht in die Parade zu fahren.
Überparteiliche Zusammenarbeit notwendig
Die zusätzliche Kreditfinanzierung von Infrastruktur und Klima-Investitionen könnte die neue Union-SPD-Regierung dann ab März vielleicht auch mit den Linken regeln. Diese Überlegungen basieren aber auf der Hoffnung, dass sich eine neue Bereitschaft zu überparteilicher Zusammenarbeit einstellt.
Äußerungen von Boris Pistorius und einigen Unions- und Grünenpolitikern deuten in diese Richtung, wenngleich der künftige Kanzler Merz zuletzt eher ablehnend klang. Eine solche große Koalition der Vernunft jenseits der Lager erfordert Mut, entspräche aber der kritischen Lage.
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