Kommentar von Andreas Wyputta: Die Zukunft verschlafen
Das Land Niedersachsen hängt wirtschaftlich am Volkswagen-Konzern. Zu blöd, dass VW noch in der automobilen Steinzeit lebt
N icht nur bei der Versorgung mit Elektrotankstellen hat Niedersachsen ein Problem: Das Land hängt wirtschaftlich am Volkswagen-Konzern. 120.000 Arbeitsplätze sichert allein die Firma, die bis zum Diesel-Skandal so gern größter Autobauer der Welt geworden wäre, dazu zehntausende Jobs bei Zulieferern. „Wenn VW hustet, hat Niedersachsen die Grippe“, heißt es im Norden nicht umsonst.
Bis 2015 aber hat Volkswagen die Chancen der Elektromobilität schlicht ignoriert. VW-Übervater Ferdinand Piëch und sein Gehilfe, der in der Diesel-Krise geschasste Vorstandschef Martin Winterkorn, kauften stattdessen Luxusmarken wie Bentley, ließen das VW-Spitzenmodell Phaeton mit einem 450 PS starken Zwölfzylindermotor ausstatten. 348 Gramm Kohlendioxid blies der pro Kilometer in die Luft – automobile Steinzeit also: Moderne Verbrenner kommen mit weniger als 100 Gramm aus.
Entsprechend unattraktiv ist das Elektro-Angebot des Konzerns heute: Der einzige reine Elektro-VW, der E-up, kostet mit knapp 27.000 Euro fast das Dreifache des konventionell angetriebenen Basismodells. Dafür kommt der Kunde im „praxisnahen“ Betrieb 120 bis 160 Kilometer weit. Teslas Model S schafft 600 Kilometer – und wäre damit alltagstauglich, wenn er nicht mit 70.000 Euro zu Buche schlüge und seine Batterien hin und wieder in Flammen aufgingen.
Immerhin: Volkswagens neuer Chef Matthias Müller scheint zumindest teilweise begriffen zu haben, wohin die Reise in Zukunft geht. Bis 2025 will sein zwölf Marken umfassender Konzern zwei bis drei Millionen Elektroautos auf die Straße bringen. Allerdings: Batteriezellen will Müller nicht selbst fertigen lassen. Dabei entscheidet die Batteriequalität über Preis, Reichweite und Alltagstauglichkeit – und damit über die Frage, ob die Wagen auch gekauft werden.
„Ein Witz“ sei eine eigene Batteriezell-Produktion, sagt Müller trotzdem. Selbst der Bau einer Batteriefabrik, in der zugekaufte Zellen nur zusammengesetzt werden, wird in der VW-Zentrale aktuell nur diskutiert. Der traurige Grund: VW fehlt schlicht das Geld, um sich von Zulieferern vor allem aus Asien unabhängig zu machen. Allein die Batteriefabrik könnte bis zu zehn Milliarden Euro teuer werden, wird in Wolfsburg geschätzt – die Zellfertigung käme noch oben drauf.
Stattdessen fließt das Geld in die Bewältigung der Vergangenheit. Insgesamt wird der Diesel-Skandal wohl mehr als 25 Milliarden Euro kosten. Piëch und Winterkorn haben die Zukunft verschlafen. Müller könnte die Zukunft von Volkswagen verspielen – wenn er nicht erkennt, dass Batterien künftig mindestens so wichtig werden wie heute Motoren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken