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Kommentar verkürzte PrivatinsolvenzFinanzielle Fußfesseln eher lösen

Kommentar von Anja Krüger

Die lange Laufzeit von Privatinsolvenen hängt wie eine Fußfessel an den Betroffenen. Dass die EU diese Frist verkürzen will, ist richtig.

Früher klebten Schulden lebenslang an Menschen. So ähnlich wie Kaugummis an Schuhsohlen Foto: photocase/kallejipp

T reffen ManagerInnen von Großunternehmen falsche wirtschaftliche Entscheidungen und richten immense Schäden an, müssen sich die Leute in den Großraumbüros und Werkhallen, aber nicht sie selbst Sorgen um ihre Zukunft machen. Für den angenehmen Vorruhestand oder Lebensabend von Top-ManagerInnen sorgt die dicke Abfindung oder die insolvenzgesicherte Betriebsrente.

Für Selbstständige und VerbraucherInnen gelten andere Regeln. Sie müssen für falsche wirtschaftliche Entscheidungen richtig büßen. Wer sich mit einem kleinen Gewerbe selbstständig macht oder sich beim Immobilienkauf kräftig verhebt und Rechnungen oder Kreditraten nicht mehr zahlen kann, der ist erledigt.

Die Einführung der Privatinsolvenz im Jahr 1999 war ein großer Fortschritt, überschuldeten Selbstständigen und VerbraucherInnen überhaupt einen finanziellen Neustart zu ermöglichen. Früher haben Schulden lebenslang an Menschen geklebt. Das hat sich glücklicherweise geändert, heute können in einem gerichtlich geregelten Verfahren Schulden gelöscht werden – auf Kosten der Gläubiger.

Allerdings ist eine Privatinsolvenz eine hoch belastende Angelegenheit, psychisch und finanziell. Das Insolvenzrecht hängt wie eine finanzielle Fußfessel an den Betroffenen. Von ihnen wird eine „Wohlverhaltensphase“ von bis zu sechs Jahren verlangt, die viele zu Recht als Bestrafung ansehen.

Schnellere Chance auf Neustart

In dieser Zeit stehen sie quasi unter finanzieller Vormundschaft und müssen alle Einnahmen bis zur Pfändungsgrenze abgeben. Viele Menschen mit finanziellen Problemen schreckt diese lange Dauer ab. Dass die EU diese Frist auf drei Jahre verkürzen will, ist richtig. Selbstständige oder VerbraucherInnen, denen die Schulden über den Kopf gewachsen sind, sollen schneller die Chance für einen Neustart bekommen.

PolitikerInnen fordern BürgerInnen immer wieder dazu auf, sich beruflich selbstständig zu machen oder mit einer Immobilie fürs Alter vorzusorgen. Solche Abenteuer sind mit erheblichen Gefahren verbunden. Wenn die Gesellschaft den Mut zu solchen Risiken fordert, muss sie auch einen akzeptablen Ausweg eröffnen, wenn es schief geht.

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9 Kommentare

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  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Ja - nachvollziehbar. Wenig hilfreich für den Neustart ist sicher auch der „Schufa-Pranger“.



    Trotzdem - das war die eine Seite. Die andere Seite sind Gläubiger, die auf ihr Geld verzichten müssen. Vielleicht Privatpersonen, Einzel- und KleinunternehmerInnen, häufig Telefonanbieter und Energieversorger. Und gut ware es, die Verschuldensgründe präzise zu betrachten. Da ist von missglückter Exitenzgründung bis zur Konsumverschwendung sicher alles möglich. Ich würde eine Verkürzung der Wohlverhaltensphase sowohl vom Verschuldungsgrund als auch von der Teilnahme an Maßnahmen zum richtigen Umgang mit Geld abhängig machen. Und „reset“ gilt dann auch für den Schufaeintrag.

  • Finde ich Toll. Das geht aber davon aus das Kreditgeber ihr Geld selbst drucken. Sowas treibt wahrscheinlich tausende kleiner Gewerbetreibender in die Insolvenz. Grundrechenarten scheinen in der EU aus der Mode zu kommen. Das Geld das der eine schuldig bleibt fehtl dem anderen, un der heißt nicht immer Großbank sondern Handwerker von Nebenan.

  • Die Wohlverhaltensphase ist keine Bestrafung, sondern der Beitrag des Schuldners zur Tilgung seiner Schulden.



    Erst danach erfolgt die Restschuldbefreiung.



    Es war schließlich der Schuldner, der sich selbst ver- und überschuldet hat.



    Die Gläubiger haben immerhin ein Recht auf Befriedigung ihrer Forderungen.



    Die Privatinsolvenzen sind zumeist keine Ausrutscher von Selbstständigen, sondern Verbraucherschulden.



    Die Dauer kann jetzt schon auf drei bzw. fünf Jahre verkürzt werden.

  • Ich seh keinen Änderungsbedarf.



    Kreditwürdigkeit hat auch mit persönlicher Glaubwürdigkeit in Finanzfragen zu tun.



    Wenn jemand sich so gründlich ruiniert, dass eine Privatinsolvenz nötig ist, dann werden die Kosten für dessen Fehler Dritten aufgebürdet.



    Die nichts dafür können!



    Da finde ich es nicht zuviel verlangt, dass der Schuldner sich ein paar Jahre stark am Riemen reißen muss.

    Bei nur drei Jahren wird es für manche Schelme attraktiv, kräftig über die eigenen Verhältnisse zu leben, sich stark zu verschulden, und dann fix die Schulden streichen lassen - und dann wieder von vorne.

    Zwei plakativ in der Bildzeitung ausgeschlachtete Fälle, und die ganze Privatinsolvenz wird wieder abgeschafft...

    • @mensch meier:

      "Die nichts dafür können!"???



      Jeder Gläubiger hatte die Möglichkeit, dem später insolventen Schuldner keinen Kredit einzuräumen. Wieso tat man es > Gewinnstreben. Also keinen Seemannsgarn spinnen bitte.



      Es sollten einfach keine Verbraucher-Kredite vergeben werden, dann gäb's auch keinen Meschen, der deswegen in die Insolvenz gerät und auch keinen, der sein Geld nicht bekommt.

  • Für die Gläubiger ist das keine gute Nachricht. Das persönliche Risiko bei Überschuldung sinkt.

    • @TazTiz:

      Einfach keine Verbraucher-Kredite gewähren = Null Risiko.

  • Zu den 6 Jahren kommen weitere 3 Jahre, in denen das Insovenzverfahren in der SCHUFA eingetragen ist und die insovente Persone weiterhin nicht kreditwürdig ist. Insgesamt sind es als 9 Jahre dieser Fußfesseln.

    • @Jörg Rupp:

      Schön, dass sie es sagen, sonst hätte ich es gesagt. 6 Jahre ist die kurze Variante und der "Restschuldbefreit" -Eintrag in der Schufa verhindert sehr zielsicher jegliches Leben. Eine Wohnung zu mieten ist schon mal unmöglich ... 9 Jahre lang. Außer man hat Glück und eine schusselige Immobilienmaklerin, die denkt sie hätte die Schufa schon gecheckt...