Kommentar neuer Büchner-Preisträger: Erweckungsprosa
Lukas Bärfuss bekommt den Georg-Büchner-Preis. Aber kann er repräsentativ für die politische deutschsprachige Gegenwartsliteratur stehen?
J etzt gilt es, literaturkritisch die Hosen herunterzulassen. Das ist das Schöne an dieser so überraschenden wie kontroversen Entscheidung, dem bis dahin nicht übermäßig bekannten Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss den diesjährigen Georg-Büchner-Preis zu verleihen – die einzige deutschsprachige Auszeichnung, nach der als Steigerung höchstens noch der Nobelpreis kommt.
Die Entscheidung für Bärfuss hat aber auch etwas Brutales. Denn nun wird das Werk dieses 1971 geborenen Autors an der Frage gemessen, ob es repräsentativ für die politische deutschsprachige Gegenwartsliteratur stehen kann. Und die Antwort ist leider: eher nicht.
Dabei erscheint Lukas Bärfuss als Autor für politisch interessierte Leserinnen und Leser erst einmal wie gemacht. In seinen Theaterstücken packt er heiße Eisen an, wie Sterbehilfe oder Zwangseinweisungen in die Psychiatrie. Zumindest in seinem Heimatland, der Schweiz, hat er auch schon ganze Kohorten von Politikern gegen sich aufgebracht. Sein erster und bislang stärkster Roman „Hundert Tage“ beschreibt literarisch überzeugend den Völkermord in Ruanda.
Und doch ist es, zumindest auf der Höhe des Büchner-Preises, eben ein Problem, dass man bei vielen Formulierungen dieses Autors immer die Luft herauslassen möchte. Man hat, wenn man ihn liest oder seine Theaterstücke sieht, oft den Eindruck, als wolle er einen ermahnen und wachrütteln aus einer falschen Existenz.
Neigung zu einer pauschalen Abwertung der Gegenwart
Dass einen das nerven kann, ist literarisch keine Nebensächlichkeit. Spätestens im zuletzt erschienenen Roman dieses Autors, „Hagard“, geht diese handwerklich gut gemachte Erweckungsprosa nämlich auf Kosten der Gesellschaftsanalyse. Das Problem ist Bärfuss’ Neigung zu einer pauschalen Abwertung der Gegenwart, die mit starken, literarisch klingenden Beschreibungen ins Bedeutsame hochgejazzt wird.
Dabei hat die Erfahrung, hier und heute zu leben, doch tatsächlich eher etwas mit Ambivalenzen zu tun, mit Widersprüchen, die man aushalten muss, mit Ansprüchen an das eigene Leben und auch an das politische Tun, die man selbst nicht zu erfüllen schafft.
Es ist kein L’art pour l’art, die Haltung zu vertreten, dass auch in der politischen Literatur die Sprache stimmen muss. Gerade da muss sie es. Für raunende Formulierungen ist die Lage zu kompliziert.
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