Kommentar Zukunftsvorsorge: Schwarzbrotessen fürs Alter

Deutsche Versicherer fordern mehr Selbstkontrolle für ein besseres Leben im Alter. Aber dazu braucht man erst mal genug Zeit, Kraft – und Geld.

drei ältere Menschen in bei der Leichtathletikmeisterschaft der Senioren

Mit 79 noch sprinten? Das muss man sich erst mal leisten können Foto: dpa

So sieht sie also aus, die Bürgerin oder der Bürger, die oder der sich perfekt auf das Alter vorbereitet: Geht mehrmals in der Woche ins Fitnessstudio, isst viel Vollkornbrot und Gemüse, verbringt regelmäßig Zeit mit Familie und Freunden und legt allmonatlich eine ordentliche Summe auf die hohe Kante: für später, fürs Alter, anstatt das Geld für Klamotten oder Reisen rauszuhauen.

„Zukunftsorientiertes Handeln erfordert Selbstkontrolle in der Gegenwart“ ist eine Studie im Auftrag der Deutschen Versicherungswirtschaft betitelt. Selbstkontrolle! Glück klingt irgendwie anders.

Vollkornbrot essen, sich in Konsumverzicht üben und sparen für später – das ist allerdings erstens eine Klassenfrage und zweitens ein Rezept, das sich als unwirksam erweisen könnte, wenn das Leben anders spielt. Der fitnessgestählte und bioversorgte Körper kann genauso vorzeitig von Krebs befallen werden wie der Körper eines Menschen, der viel getrunken und geraucht hat.

Das sauer Verdiente nicht zu sparen, sondern lieber zwei Monate freizunehmen und die Radtour durch China zu machen kann zudem auch eine Form der mentalen Altersvorsorge sein, weil man damit wertvolle Erinnerungen schafft. Leave no regrets!, sagt die Glücksforschung. Es ist ein Rat, den auch Menschen mit lebensverkürzenden Krankheiten an ihre Freunde weitergeben.

Schlecht bezahlte Verschleißjobs

Sich in „Selbstkontrolle“ für die Altersvorsorge üben zu können ist auch eine Klassenfrage. Man muss die Zeit, die Kraft und das Geld haben, um ins Fitnessstudio gehen und allmonatlich Geld für später sparen zu können. Die Kraft haben Leute in schlecht bezahlten Verschleißjobs nicht, erst recht nicht, wenn sie im Schichtdienst ackern.

Der Appell zur individuellen „Selbstkontrolle“ ebnet die Klassenunterschiede nicht ein. Und die Illusion, die Zukunft kontrollieren zu können, schützt nicht vor dem Leben und dessen Ab- und Umbauprozessen. Diese zu akzeptieren erfordert eine ganz andere Form der Auseinandersetzung.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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