Kommentar Zukunft der SPD: Klassenperspektive verloren
Die Sozialdemokratie ist in einer elenden Verfassung. Die SPD muss wieder einen Draht zu den Leuten finden, wenn sie überleben will.
D iese Partei müsste kurzfristig Insolvenz anmelden. Die SPD verfügt nur noch in Spurenelementen über das, was als Kernidentität verstanden werden könnte. Sie hat während der vergangenen gut zwei Jahre in der Großen Koalition eine Politik durchgesetzt, die sich als eine an Gerechtigkeit orientierte verstehen ließe. Genannt sei nur der Mindestlohn.
Die Resultate, die in Sachsen-Anhalt oder in Baden-Württemberg erzielt wurden, deuten aber für diese Partei den gleichen Niedergang an, den die Sozialdemokraten in Dänemark und Großbritannien, bald in Frankreich und weiter in Schweden hinter sich haben beziehungsweise hinter sich bringen müssen.
Bei den deutschen Sozialdemokraten kommt hinzu, dass sie den Kontakt eingebüßt haben zu jenen, die politische Partizipation dringend nötig hätten – und so etwas wie eine Zukunft, die sich wie Aufstiegshoffnung buchstabieren ließe. Die SPD ist mehr die Partei des öffentlichen Dienstes denn der Mindestlohnbeschäftigten.
Ihre Mitgliedschaft hat keinen Draht mehr zu jenen, die nicht in Metropolen leben, nicht hipstermäßig Caffè Latte trinken. Ihr fehlt bitter das, was man Glaubwürdigkeit in den Szenen der Abgehängten nennen könnte. Viele von denen erkennen ihre Zukunft mehr in der AfD.
Aber die SPD hat die Sprache der Proleten verlernt, sie hat keine Vertrauensleute in deren Lebensumfeldern. SPD – das war mal ein Klassenversprechen, und jetzt verliert sie in Baden-Württemberg eines ihrer raren Direktmandate an einen Rechtspopulisten.
Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz mag als Ausnahme gelten: Eine Politikerin, die offenbar sozial in etwa für das steht, was die SPD einst war: eine Partei der Bedrängten und Verachteten.
Weshalb setzt die Parteiführung nicht alles auf die Mobilisierung migrantischer Menschen? Und auf deren Repräsentation auf allen Parteiebenen? Das wären Aktien auf die Zukunft – falls die SPD ernsthaft eine haben möchte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“