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Kommentar Zähe Jamaika-SondierungenUngewohnt echter politischer Streit

Anja Maier
Kommentar von Anja Maier

Die Verhandlungen sind zäh. Es wird geschimpft und gestritten. Für fast alle Beteiligten eine ganz neue Rolle. Aber notwendig war und ist der Streit.

Noch lächelt sie: Die Bundeskanzerlin, als sie zur Sondierungsverhandlung am Sonntag ankommt Foto: dpa

W as soll das Ganze? Was treiben die denn da in Berlin? Das fragen sich jetzt viele. Die Jamaika-Sondierungen – das ganze Setting, die Pöbeleien, die Ultimaten – das ist doch nicht das, was man auf dem Wahlzettel vor zwei Monaten angekreuzt hat. Die Parteien wollten politische Macht, sie haben sie bekommen. Jetzt sollen sie sich verdammt noch mal wie Erwachsene benehmen und was Vernünftiges draus machen.

Ja, es stimmt, das Ganze hat etwas Würdeloses. Aber nein, das ist an sich nichts Schlechtes oder gar Verwerfliches. Sondern nur etwas ungewohnt. Denn egal, wie das Ganze ausgeht – am Ende wird ein neues Bündnis stehen zwischen politischen Lagern, wie die deutsche Öffentlichkeit das bislang nicht gekannt hat.

Es werden Kompromisse geschlossen, für die bislang die Fantasie nicht ausgereicht hat. Echte Kompromisse, keine Formelkompromisse. Ernsthafte Auseinandersetzung, inhaltliches Ringen – war es nicht das, wonach im Wahlkampf ständig so lautstark verlangt wurde? Das Ganze hört auf den Namen: Realpolitik.

Jahrzehntelang konnten die Wählerinnen und Wähler darauf vertrauen, dass „die da“ sich schon irgendwie einigen werden. Die größte Partei sagte für gewöhnlich, wo es langgeht, der kleinere Koalitionspartner wurde ruhiggestellt mit drei, vier Ministerien. Und gut war. In vier Jahren bitte dann wieder brav zwei Kreuzchen machen.

Ungewohnte Rollen

Das ist nach diesen Bundestagswahlen vorbei. Wenn vier so verschiedene Parteien sich einigen müssen, wird alles viel mühsamer, langwieriger, unlässiger. Die Zeiten, in denen Bundeskanzlerin Angela Merkel nur zuzuschauen brauchte, wie sich der kleine Koalitionspartner mühte und abrackerte, auf dass am Ende seine Erfolge auf ihr Konto einzahlten – diese Zeiten sind endgültig vorbei. Jetzt gibt es was Neues: echten politischen Streit.

Schön anzuschauen ist das wie gesagt nicht. Aber notwendig. Man spürt, wie linkisch und mitunter fahrlässig die Vertreter von CDU, CSU, FDP und Grünen mit ihrer ungewohnten Rolle umgehen. Die Gefahr, bei den Verhandlungen zu überreißen, ist sehr real.

87 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben den demokratischen Parteien im September ihre Stimme gegeben. Sie erwarten nun völlig zu recht, dass „die da“ sich einigen. Politik ist kein Selbstzweck, die Anliegen der BürgerInnen sind berechtigt. Geld für die Infrastruktur, für Polizei und Verwaltung, für Schulen und endlich mehr Qualität in den Kindertagesstätten und den Pflegeeinrichtungen – das ist es, was die Leute brauchen. Es wird Zeit, dass das passiert.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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13 Kommentare

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  • Erinnert sich noch jemand? Vor nicht allzu langer Zeit hieß es, es gäbe kaum noch Unterschiede zwischen den Parteien. Und dass keine „echten“ Diskussionen stattfinden. Und dass Merkel sowieso alle unterbuttert.

     

    Nun sind alle diese Einwände vom Tisch: Die Unterschiede wurden in wochenlangen Diskussionen sichtbar wie nie und Merkel felang es nicht, die Anderen unterzubuttern (falls sie es je versucht hat).

     

    Und trotzdem wird wieder gemeckert!

  • a taste of shakesperian quality.

     

    "And the murderer goes to . . . YELLOW!"

  • 8G
    82278 (Profil gelöscht)

    "87 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben den demokratischen Parteien im September ihre Stimme gegeben"

     

    Das ist dümmlich formuliert. Zunächst: die AfD hat keine anti-demokratischen Positionen in ihrem Programm. Zweitens: es ist geradezu ein Ausweis der funktionierenden deutschen Demokratie, wenn Positionen, die den Menschen unter den Nägeln brennen, aber bisher im Bundestag nicht thematisiert werden, nun eine Repräsentation im Parlament erfahren. Exakt ist die deeskalierende und gewaltverhindernde Funktion der Demokratie.

     

    Hier leichtfertig an Wort-Definitionen zu schrauben, nur weil einem die AfD nicht in den Kram passt ist infantil.

  • 4G
    41069 (Profil gelöscht)

    Diese Grünen sind eingeknickt.

    Freiheit für Neoliberalismus, Obergrenze und Vermehrung sicherer Herkunftsländer (klappt bei Lybien schon, vielleicht jetzt auch Afghanistan mit grüner Hilfe?). Kohleausstieg und Ausstieg bei Verbrennungsmotoren wurden aber durchgesetzt ... hab nur noch keine Informationen bis wann.

    Was können wir erwarten? Die Grünen bekommen Großspenden von den Automobil- und Rüstungskonzernen (siehe Veröffentlichungspficht).

    • @41069 (Profil gelöscht):

      Das ist ein ziemlich destruktiver Kommentar von Ihnen. Erstens ist momentan noch gar nichts entschieden, zweitens ist "Einknicken" oftmals nichts anderes als einen Kompromiss finden, und drittenshat niemand was davon, wenn es gar keine Regierung gibt. Ist ja toll, wenn man mit seinem Idealismus in der Bedeutungslosigkeit landet. Von dort lässt es sich auch wieder ganz prima alle anderen als gekaufte Opportunisten diffamieren.

      • 4G
        41069 (Profil gelöscht)
        @fhirsch:

        gekaufte Opportunisten?

        Wissen Sie mehr?

      • @fhirsch:

        Ich werde nun die historische Gelegenheit nutzen einmal Christian Lindner zu zitieren ohne mir dabei dumm vorzukommen: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren."

         

        Wenn die Grünen links wären, oder Rückrad hätten, oder im Idealfall sogar beides dann würde man keine Politik machen die das Gegenteil von dem bringt was man nach Außen fordert. Wenn Sie 4 Schritte nach rechts wollen und ich 2 nach Links dann ist ein Schritt nach Rechts zwar ein fairer Kompromis aber ein Einknicken von meiner Seite weil ich das Gegenteil von dem mache was ich angekündigt habe.

        Dieses Regieren um jeden Preis haben die Grünen kultiviert. Das Ziel ist nicht einen Kompromiss zu finden sondern gute Politik zu machen. Wenn für den Kompromiss das Gegenteil von dem gemacht werden muss was gut ist dann steht man nicht zur Verfügung, Punkt. Mit dem Argument das ja ein Kompromiss gefunden werden muss lässt sich der noch so dreiste Umfaller rechtfertigen. Destruktiv ist es nur wenn man Posten über Alles stellt und nicht wenn man nur Politik machen will die man nicht für grundlegend falsch hält. Selbst die FDP hat mehr Rückrat wie man gerade gesehen hat

        • 8G
          80576 (Profil gelöscht)
          @Oskar:

          Die Grünen haben kein "Rückrad"? :-)

          Mag sein, was sollte das auch sein?

        • @Oskar:

          Ich hätte es gut gefunden, wenn man z.B. festgelegt hätte, dass 200.00 Flüchtlinge pro Jahr ins Land dürfen und die dann bei Anerkennung ihres Asylstatus ihre Familien nachholen dürfen. Ich hätte es auch gut gefunden, wenn z.B. festgelegt worden wäre, dass bis zum Jahr 2020 15 Kohlekraftwerke stillgelegt werden sollen.

           

          Das wären immerhin reale Entscheidungen gewesen.

           

          Jetzt gibt's wohl Neuwahlen, alle radikalisieren sich weiter, in Umweltfragen bewegt sich nüscht und die AFD lacht sich ins Fäustchen.

           

          Aber Sie können ja in der Zwischenzeit mit Ihrem strammen Rückgrat (so übrigens die Orthografie) eine Party der Gerechten feiern.

      • 4G
        41069 (Profil gelöscht)
        @fhirsch:

        Lieber bedeutungslos für Frieden und gegen Armut, für umfassendes Asylrecht und Steuerlast für Hyperreiche als Opportinist sein, ja, dies ist meine antifaschistische Position, gut erkannt.

  • Von mir aus können die noch weitere 4 Jahre sondieren was zu tun ist. Ich habe keinerlei positive Erwartungen an diese Regierung.

  • Warum nicht akzeptieren, das JAMAIKA, nicht geht?

    Allein durch diese heftigen, kontroversen Debatten: der `deutsche Bürger´ war/ist gezwungen worden zur humanen politischen Aufklärung.. im Sinne Weltbürgerlicher Haltung: zur Ökologie, zu Menschenrechten, zu Frieden und Abrüstung.. !!!

    Das "alte Staatsbürgerbewusstsein" der bisherigen Merkel Ära, stagniert im Neoliberalismus.. wurde (meine ich..) durch die Debatten des JAMAIKA Prozesses, positiv erweitert!

    Dank den "GRÜNEN" !!

    Wie wärs mit Neuwahlen? :-) !

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Deutschland kann nun in Ruhe schlafen gehen.

    Lindner bekommt das Doppelministerium für W-LAN und schnelles W-LAN, Dobrindt soll eine längst überfällige Ausländermaut als Verkehrsminister auf den Weg bringen und das Bildungsministerium übernehmen, wegen seiner klaren Ausdrucksfähigkeit, die Grünen schaffen die Massentierhaltung ab, die CSU kollabiert deswegen, die Noch-Abgeordneten trinken ein Glas Gülle und rufen die AfD wegen einer Sondierung an,

    Die CDU weiß überhaupt gar nicht, was da eigentlich alles los ist, Kauder will einen Selbsthilfekurs nehmen, Altmaier soll einen Job als Berater gegen Fettsucht angeboten bekommen haben,

    Söder wird Gülleminister,

    Merkel will Geliebte von Juncker, oder, wenn der sie nicht nimmt, von Obama werden und unsere süße und schöne Ursula vdL will Außenministerin werden, um ihre Untaten wieder gut zu machen.

    Schulz will nun doch unter Katrin Göring-Eckhardt erster Vizekanzler werden.

    Trump soll mit dem Friedensnobelpreis bedacht werden und in Deutschland als Berater für Flüchtlingsangelegenheiten und Frauenfragen gebeten werden.

    Gut, daß die Jamaikakoalition doch was zustande gebracht hat.