Kommentar Wolfgang Schäuble: Es könnte schlimmer kommen
Wenn Schäuble Bundestagspräsident wird, braucht Angela Merkel einen neuen Finanzminister. Der kommt besser nicht von der FDP.
D ass Wolfgang Schäuble künftig nicht mehr Finanzminister ist, sondern Bundestagspräsident, könnte eine gute Nachricht sein. Schließlich hat der CDU-Mann mit seiner harten Haltung auf EU-Ebene entscheidend dazu beigetragen, die Krise in Südeuropa mit immer neuen Sparprogrammen in einen Dauerzustand zu überführen. Und er hat jede Diskussion über eine gemeinsame Finanzpolitik erstickt, ohne die der Euro langfristig nicht funktionieren wird.
Wenn Schäuble seine Unerbittlichkeit und seinen brutalen Zynismus, mit dem er bisher die Griechen zu immer neuen sozialen Grausamkeiten gezwungen hat, stattdessen künftig nutzt, um die AfD im Bundestag in ihre Schranken zu weisen, ist das darum auf jeden Fall ein Gewinn. Denn dies ist eine Aufgabe, die eine durchsetzungsstarke Persönlichkeit erfordert.
Für Europa wenden sich die Dinge allerdings durch Schäubles Abgang als Finanzminister nicht automatisch zum Besseren. Im Gegenteil: Wenn FDP-Chef Christian Lindner nun den offen formulierten Anspruch seiner Partei auf diesen Posten durchsetzen kann, könnte die deutsche Rolle in Brüssel noch weitaus destruktiver werden.
Zwar hat auch Schäuble den „Grexit“ als Option ins Gespräch gebracht. Doch Lindner fordert den Ausschluss der Griechen explizit und stellt mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zudem den entscheidenden Hebel gegen die Eurokrise infrage.
Wenn der CDU und den Grünen an der europäischen Idee gelegen ist, dürfen sie in den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen das Finanzministerium darum keinesfalls der FDP überlassen. Die Union hat mit Jens Spahn und Ralph Brinkhaus potenzielle Nachfolger, von denen zwar keine großen Fortschritte zu erwarten sind, aber immerhin auch keine Katastrophen.
Und die Grünen sollten sich dringend überlegen, ob ihnen das Beliebtheit garantierende Außenministerium wirklich wichtiger ist als das Finanzministerium. Denn dort könnten sie nicht nur einen großen Beitrag für ihre Idee von einem solidarischen Europa leisten – sondern säßen nebenbei auch noch an den entscheidenden Hebeln für eine gerechtere Finanzpolitik. Wie viel Macht von diesem Posten ausgeht, hat Wolfgang Schäuble in den letzten acht Jahren schließlich eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Mehr Zugverkehr wagen
Holt endlich den Fernverkehr ins Deutschlandticket!