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Kommentar WestbalkankonferenzMehr europäische Werte, bitte!

Erich Rathfelder
Kommentar von Erich Rathfelder

Merkel und Macron setzen bei der Westbalkankonferenz zwar ein Zeichen gegen Nationalismus in der Region. Doch es bleibt viel zu schwach.

Nicht entschieden genug eingestanden für die Werte der EU: Merkel und Macron Foto: reuters

E in Zeichen aus Europa war nötig. Angela Merkel und Emmanuel Macron haben es in Berlin gegeben. Aber konkret wurde nichts erreicht. Die Menschen auf dem Balkan bleiben enttäuscht. Die Versprechungen von Thessaloniki 2003, als die EU allen Staaten des Westbalkan versprach, sie könnten in die EU integriert werden, wenn sie die Demokratisierung vorantrieben, die Justiz reformierten und Wirtschaftsreformen durchführten, sind fast versandet.

16 Jahre später kommt man damit nicht recht voran. Das hat mit den Interna in manchen Staaten des Westbalkan ebenso zu tun wie mit der zunehmenden Integrationsmüdigkeit der EU. Es hat sich sogar ein politisches Vakuum aufgetan, das autokratisch geführte Mächte wie Russland, China und die Türkei füllen möchten.

China investiert massiv in die Infrastruktur, baut Autobahnen und modernisiert Eisenbahnstrecken. Die russische Diplomatie hat zwar in Mazedonien und Montenegro Niederlagen einstecken müssen, sie rüstet jedoch die serbische Teilrepublik in Bosnien und Herzegowina sowie Serbien militärisch auf. Und die Türkei versucht ihren Einfluss auf die Muslime der Region auszudehnen. Statt Demokratie und Rechtsstaat werden autokratische Herrschaftsformen für balkanische Eliten zu Vorbildern.

So ist der serbische Präsident Alexandar Vucic ein gelehriger Schüler Putins geworden. Und da jetzt auch Donald Trump die bisherige Position der USA untergräbt und – für den Fall eines Gebietsaustauschs zwischen Serbien und Kosovo – umgekippt ist, wird Europas Position auf dem Balkan unterhöhlt.

Neue Perspektiven für chauvinistische Nationalisten

Dass Angela Merkel und Emmanuel Macron jetzt versucht haben, die Notbremse zu ziehen, war bitter nötig. Vor allem in der Frage des Gebietsaustausches. Der soll ganz im autokratischen Geist sowohl in Serbien als auch im Kosovo einfach von oben her verhandelt und entschieden werden. Ohne die Bevölkerung zu befragen. Nach ethnischen Kriterien.

Ethnisch reine Staaten zu schaffen ist das erklärte Ziel chauvinistischer Nationalisten seit dem Zerfall Jugoslawiens. Für die eröffneten sich so neue Perspektiven. „Großserben“ wollen Bosnien und Herzegowina zerschlagen, Nord-Mazedonien und Montenegro werden es mit groß-albanischen Nationalisten zu tun bekommen. Die Büchse der Pandora würde geöffnet. Zur Freude der nationalistischen und rechtsextremen Bewegungen in der EU selbst.

Die Idee des Gebietsaustausches ist nach dieser Konferenz nicht vom Tisch. Zu mächtig sind die dahinter stehenden Kräfte. Wenn Europa dagegen steuern will, muss es kraftvoller und energischer auf dem Balkan auftreten. Bei dieser unverbindlichen Konferenz darf es nicht bleiben. Vor allem Merkel hat mit ihrem Widerstand gegen den Gebietsaustausch ein Zeichen gesetzt und Macron ins Boot geholt. Mehr nicht. Die EU bräuchte nach den Wahlen eine kraftvolle Führung und eine wieder an europäischen Werten orientierte Außenpolitik.

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Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.
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3 Kommentare

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  • Ich kann dieses Gefasel wie "Europäische Werte" nicht mehr hören. Das ist die Faustformel für Ideenlosigkeit, Veränderungsunwilligkeit, Sozialstandardsverweigerung, Demokratiebeschränkung und deutscher Hegemonie mit französischer Begleitung. Und bald auch noch die Formel für Militarisierung der EU.

    Deutschland hat tatkräftig an der Zerschlagung Jugoslawiens mitgewirkt und die ethnische Karte gespielt. Jetzt will ausgerechnet Deutschland vermitteln? Eine Farce. Insbesondere aus der Sicht der Serben, die bittere Erfahrungen sammeln mussten mit deutscher Gewalt.

    • @Rolf B.:

      Wollte gerade etwa das gleich Schreiben. Wenn Journalismus mit Floskeln wie eben erwähnte "europäische Werte" oder "Populismus" operiert, dann verkommt er zu einer Abstumpfungsmaschine (wollte das Wort "Verdummung" vermeiden).

  • Toll, das sagt die Deutsche Kanzlerin: "Mehr europäische Werte, bitte!"



    Sie hat triumphierend, herausposaund "Wir (Deutsche) sind Export Weltmeister" weil dank der gemeinsamen Währung Euro unsere Exporte durch die ärmeren "Europäer" subventioniert wurden! Das ist ein ökonomischer Schwachsinn ein einer Volkswirtschaft!



    Selbst innerhalb Deutschlands haben wir einen Finanzausgleich (Gesetz)!

    Wir haben europaweit noch keine gemeinsame Werte vereinbart!



    Zum Beispiel "Christliche Werte bei der Rettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer oder die Anerkennung des Rechts auf Asyl Zitat:



    ALLE 30 ARTIKEL DER ALLGEMEINEN ERKLÄRUNG DER MENSCHENRECHTE



    Resolution 217 A (III) vom 10.12.1948



    Artikel 14



    1. Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.



    2. Dieses Recht kann nicht in Anspruch genommen werden im Falle einer Strafverfolgung, die tatsächlich auf Grund von Verbrechen



    nichtpolitischer Art oder auf Grund von Handlungen erfolgt, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen.

    Weder der Vertrag für die Europäische Verfassung für Europa von 2005 ist bis heute von den Europäischen Staaten ratifiziert noch sein Nachfolger: Der Vertrag von Lissabon aus 2010! Der nennt sich bezeichnender "Aktion Europa" ergo "Work in Process"!

    Frohe Pfingsten! Das wäre eine Chance? Die Ausgiessung des Heiligen Geistes liegt aber erst nach der EUROPA Wahl!