Kommentar Welt-Aids-Tag: Der Killer ist besiegbar

Der 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag: PrEP-Medikamente könnten die Ausbreitung von der Krankheit verhindern. Das ist aber derzeit nicht gewollt.

Menschen, Ballons und Aids-Symbole

Aktivisten am Welt-Aids-Tag in Kalkutta, Indien Foto: dpa

Vor 30 Jahren wurde das erste Safer-Sex-Plakat in der Bundesrepublik aufgehängt. Vor 25 Jahren starb Freddie Mercury, im gleichen Jahr outete der Filmemacher und Schwulenaktivist Rosa von Praunheim deutsche Prominente, um auf Aids aufmerksam zu machen, unter anderem Alfred Biolek und Hape Kerkeling. Aids ist Geschichte geworden, und doch infizieren sich alleine in Deutschland jedes Jahr rund 3.000 Menschen.

Aids ist immer noch ein Killer, wenn auch nicht überall auf gleiche Weise: Während die Lage in Afrika zum Teil etwas besser geworden ist – preiswerter gewordene Medikamente ermöglichen eine bessere Versorgung –, warnen Experten vor dem Entstehen einer „Superepidemie“ in Russland: Ein marodes Gesundheitssystem einerseits und eine verantwortungslose Propaganda von Klerus und staatlichen Stellen andererseits (Treue und Keuschheit seien der beste Schutz vor einer HIV-Infektion) haben zur Folge, dass die jährlichen Zuwachsraten bei Neuinfektionen aktuell zwölf Prozent betragen. Allein im letzten Jahr wurde die Zahl auf 100.000 geschätzt; internationale HIV-Organisationen werden derweil als „ausländische Agenten“ des Landes verwiesen.

Dass tatsächlich am ehesten Kondome schützen, weiß seit den achtziger Jahren jedes Kind. Dass regelmäßige Medikamenteneinnahme noch besser schützt, wissen schon deutlich weniger Menschen: HIV-Infizierte, die ihre Medikamente einnehmen, können in der Regel niemanden mehr anstecken.

Noch komplizierter wird es mit der Pille danach und davor, der Postexpositionsprophylaxe (PeP) und der Präexpositionprophylaxe (PrEP): Wer einen Risikokontakt hatte, sollte innerhalb von 48 Stunden eine entsprechende Medikamentenmixtur einnehmen, und das für mehrere Wochen; so kann verhindert werden, dass sich das HI-Virus im Körper ausbreiten kann. Noch besser ist es, die Medikamente schon vorher einzunehmen – falls Risiken absehbar sind, etwa bei Prostituierten oder bei schwulen und bisexuellen Männern, die häufig wechselnde Sexpartner haben. Oder mit einem positiven Partner zusammen leben.

PrEP-Medikament Truvada

Man kann die Pille, in der Regel ist hier von Truvada die Rede, einem Wirkstoff, der bislang exklusiv von der Firma Gilead vertrieben wurde und dessen Patent nun ausläuft, einige Tage vor der riskanten Situation (einer Reise / Orgie / einem Date) einnehmen oder permanent; in den USA wird dies von schwulen Männern, die es sich leisten können, schon lange gemacht: Um die 800 Euro muss für eine Monatsration auf den Tisch gelegt werden.

Nach langen Diskussionen wurde Truvada als PrEP-Medikament nun in Europa offiziell zugelassen. Im Oktober war das, und die Deutschen Krankenkassen haben bereits erklärt, dass sie nicht bereit sind, die Kosten zu tragen. Die deutschen Aids-Organisationen fordern nun zum Weltaidstag die Einführung einer medikamentösen HIV-Prophylaxe in Deutschland.

Die Bedenken gegen eine solche Kostenübernahme und die PrEP an sich sind vielfältig – und häufig irrational

Die Bedenken gegen eine solche Kostenübernahme und die PrEP an sich sind vielfältig – und häufig irrational. Geld: Eine zu hohe Belastung für die Kassen sei das. Dabei liegt auf der Hand, dass PrEP billiger ist, als die dreifach teurere, lebenslange Behandlung eines bereits Infizierten. Moral: Ob es denn sein könne, dass die Allgemeinheit dafür zahlen müsse, dass Einzelne ungestört in der Gegend herumvögeln könnten – als ob dies nicht prinzipiell im Ermessen des erwachsenen Bürgers selbst läge. Politik: Was denn Frau Petry dazu sagen könnte – obwohl sie bisher noch nicht einmal auf die Idee gekommen ist.

Eine Chance ergreifen

Befürchtet wird auch, dass die Verbreitung der PrEP zu einem erhöhten Risikoverhalten und einer Aufweichung der Prävention führen könnte. In der Tat, und das bestreitet auch die Deutsche Aids-Hilfe nicht, ist das Kondom keineswegs von gestern, es bietet soliden Schutz gegen eine Infektion mit HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten. Und doch gibt es eine Anzahl schwuler und bisexueller Männer, für die das Kondom nicht zu allen Zeitpunkten selbstverständlich ist – so wie ja auch Heterosexuelle nicht immer zum Gummi greifen.

In der Praxis geht es darum, eine Chance zu ergreifen – nämlich die weitgehende Verdrängung oder gar Eliminierung des Virus. Theoretisch wäre das schon jetzt möglich; ohne Entdeckung eines Wundermittels, dessen „Durchbruch“ von verschiedenen Wissenschaftlern immer wieder angekündigt wird, um Forschungsmittel zu akquirieren. Und auf das die Welt trotzdem noch immer warten muss.

Wenn alle Menschen regelmäßig zum Test gingen, könnten sie behandelt werden und würden niemanden mehr anstecken. Würden alle, die regelmäßig erhöhte Ansteckungsrisiken eingehen, PrEP nehmen, würden sie sich bei niemandem mehr anstecken. Und es wäre verrückt, nicht alles zu versuchen, um dieses Ziel zu erreichen: Aids von der Bildfläche zu verschwinden zu lassen.

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* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

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