Kommentar Wechsel in Großbritannien: Krönung mit Risiken
Tories und Labour versuchen, ihre Parteispitze an der Basis vorbeizubestimmen. Was für die einen gut sein mag, ist gefährlich für die anderen.
B ei den britischen Tories wird es keine Wahl geben, sondern eine Krönung. Die bisherige Innenministerin Theresa May wird am Mittwoch neue Premierministerin, nachdem der bisherige Amtsinhaber David Cameron seinen Rücktritt erklärt hat, weil er das Brexit-Referendum verloren hatte.
Mays potentiellen Gegenkandidaten haben sich einer nach dem anderen gegenseitig oder selbst abgeschossen. Dadurch blieb es ihr erspart, die Karten in Bezug auf ihre Politik, insbesondere das Brexit-Referendum und seine Folgen, auf den Tisch zu legen. Sie ist kaum berechenbar: In manchen Punkten, zum Beispiel bei der Migration, ist sie extrem konservativ, bei anderen Themen vertritt sie fast liberale Positionen. Eine neue Margaret Thatcher ist sie jedenfalls nicht.
Im Grunde ist das aber nebensächlich. Die rasche Regelung von Camerons Nachfolge war ein kluger Schachzug der Tories. Hätte man bis Oktober gewartet, wie Cameron zunächst angekündigt hatte, wäre nicht nur die britische Politik Monate lang lahmgelegt gewesen, sondern auch die Tories. Das hätte der Labour Party Zeit gegeben, sich zu formieren und sich endlich auf Oppositionspolitik zu konzentrieren.
Nun kann man ruhig zusehen, wie der Blair-Flügel die Labour Party zugrunde richtet. Rund Dreiviertel der Labour-Abgeordneten saßen bereits zu Zeiten des Labour-Premiers Tony Blair im Unterhaus. Sie sehnen sich nach einem neuen Tony, auch wenn gegen den alten Tony erst am vergangenen Wochenende im Untersuchungsbericht über Großbritanniens Teilnahme am Irakkrieg schwerste Vorwürfe erhoben worden sind.
Ausgerechnet ein Blair-Zögling fordert nun den von der Parteibasis gewählten linken Parteichef Jeremy Corbyn heraus. Angela Eagle hatte einst nicht nur für den Irakkrieg gestimmt, sondern sich danach auch ständig gegen eine Untersuchung der offiziellen Kriegsgründe gewehrt. Damit ihr Putsch Aussicht auf Erfolg hat, muss sie dafür sorgen, dass Corbyn als amtierender Parteivorsitzender nicht automatisch kandidieren darf, sondern sich um die Nominierung von 20 Prozent der Abgeordneten bemühen muss, was utopisch scheint.
Abschreckung für junge Wähler
Sollte Eagle wie May ohne echten Gegenkandidaten gekrönt werden, ist es für lange Zeit um die Labour Party geschehen. Es waren vor allem junge Parteimitglieder, die Corbyn gewählt haben. Sie würden die Partei in Scharen verlassen, da diese Art Machtpolitik abschreckend wirkt. Viele von ihnen könnten Theresa May bei den nächsten Wahlen ihre Stimme geben.
Und warum nicht? Lieber eine halbwegs ehrliche Konservative, die in bestimmten Punkten, zum Beispiel bei der Gleichberechtigung von Homosexuellen, durchaus lernfähig scheint, als eine verlogene Labour-Politikerin, die für einen Krieg und gegen eine Untersuchung seiner Gründe stimmt und versucht, diesen Fehler zu vertuschen.
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