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Kommentar Wahlprogramm der GrünenEdle Ziele, vage Wegbeschreibungen

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Grünen sind nach links und rechts anschlussfähig. Gerade deshalb brauchen sie mehr Erkennbarkeit und Eigensinn.

Vielleicht da lang? Oder da? Die Grünen-Spitze aus Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir Foto: dpa

D as Timing für die Grünen ist unglücklich. Bei den Themen, die die Gesellschaft umtreiben – Sicherheit und soziale Gerechtigkeit –, traut man ihnen wenig zu. Klimawandel und Agrarpolitik sind vom Radar fast verschwunden. Kraftvolles, frisches Spitzenpersonal, das diese missliche Lage überspielen könnte, gibt es auch nicht. Das ist im Wahljahr ungünstig.

Zudem gibt es leisen Verdruss, versteckte Selbstzweifel. Die Grünen haben ein Problem, das typisch für reformistische Parteien ist. Sie entstanden mit kühnen, radikalen Visionen und wandelten sich in eine Organisation, die sehr kleine Schritte macht. Die SPD leidet schon lange an dieser mitunter erstickenden Nostalgie, in der früher immer alles klarer, heroischer, bedeutsamer war und im grauen Heute Staatssekretäre den Ton angeben.

Treibstoff des Aufstiegs der Grünen war lange eine Erzählung vom glücklichen Ankommen. Sie war die Partei, in der die Ex-68er sich mit der liberalen Demokratie versöhnten. Als Ganzes bewegte sie sich langsam, aber unaufhörlich vom linken Rand in Richtung Mitte. Dort ist sie politisch und gesellschaftlich angekommen. Es ist kein Zufall, dass ihre Spitzenkandidaten, der schwäbische Migrantensohn Cem Özdemir und die ostdeutsche Protestantin Katrin Göring-Eckardt, biografisch die glückliche Ankunft in der Mitte der Republik verkörpern.

Doch diese Erzählung verblasst. Sie glänzt nicht mehr, weil sie abgeschlossen zu sein scheint. Und weil die Kosten – die Überanpassung, das Kantenlose, Rundgeschliffene – sichtbar sind. Das Motto „Wir bleiben unbequem“ des letzten Parteitags klang eher wie Selbstermahnung. Was passiert eigentlich, wenn man angekommen ist?

Deutliche Handschrift

Das Wahlprogramm, das deutlich die Handschrift von Özdemir und Göring-Eckardt trägt, passt ins Bild. Der Text ist gefälliger als die übliche Mixtur aus Spiegelstrichprosa und Zahlengewitter. Ökologie und Umwelt rangieren vorne, soziale Gerechtigkeit hinten. Die zwischen den Flügeln heftig umstrittene Vermögensteuer ist so platziert, dass klar ist: Dies ist kein grünes Wahlkampfthema. Im letzten Programm 2013 wurde viel haarklein vorgerechnet, dieses ist anders: viel Wünschenswertes und, außer bei Bildung und Klima, eher wenig Zahlen, Konkretes, Fakten.

taz.am wochenende

Bei der Wahl in den Niederlanden könnten die Rechtspopulisten um Geert Wilders stärkste Kraft werden. Für die taz.am wochenende vom 11./12. März hat unser Autor Wähler besucht und mit ihnen über ihre Hoffnungen gesprochen. Außerdem: Politiker fordern mehr Härte gegen Gefährder – Menschen, meist potenzielle Islamisten, die bisher keine Straftat begangen haben. Wer widerspricht noch? Und: Was Plastikpuppenbordelle mit Feminismus zu tun haben. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Die Ziele sind durchweg edel, die Wegbeschreibungen vage. Zum Beispiel: Die Grünen wollen in 20 Jahren die Massentierhaltung abschaffen. Der radikale Umbau der Landwirtschaft ist ein Projekt, das sich nur die Grünen glaubhaft auf die Fahnen schreiben. Das bedeutet Kampf gegen eine schlagkräftige, gut organisierten Lobby, auch gegen Konsumenten, die Billigfleisch gewohnt sind. Wie die Ökopartei dies umsetzen will, bleibt diffus. 150 Millionen Euro im Jahr für Ökolandbau auszugeben und Lebensmittel besser zu kennzeichnen wird nicht reichen.

Beispiel zwei: eine freiwillige Arbeitsversicherung für Selbstständige. Das ist ein Feld, das die liberale Ökopartei besser beackern kann als SPD oder Linkspartei, die auf Angestellte und Normalarbeitsverhältnis fokussiert sind. Doch wie viele diese Versicherung nutzen sollen, was sie kostet, wer sie bezuschusst – alles offen.

Komfortable Position

Die Grünen befinden sich im Parteienspektrum an einem strategisch günstigen Ort. Sie können mit Union und FDP regieren, aber auch mit SPD und Linkspartei. Diese Position ist komfortabel, aber auch riskant. Für die FDP mag es reichen, an die Macht zu wollen – für die Grünen nicht. Der Eindruck, bloß regieren zu wollen, rui­niert ihr politisches Kapital: Moral.

Gerade weil die Partei nach links und rechts anschlussfähig ist, muss sie deutlicher, schärfer sein. Man möchte gern wissen, wo ihre Schmerzgrenze bei der Agrarwende verlaufen wird, wenn sie mit der Union regiert, die traditionell mit der Agrar­indus­trie verbandelt ist. Oder ob sie, wenn es zu Rot-Rot-Grün kommt, bei jeder Umverteilung auf der Bremse stehen wird.

Das Wahlprogramm lässt das offen. Das ist zu wenig.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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15 Kommentare

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  • Es kann nur eine wirklich linke Partei geben und das ist DIE LINKE. Nur Sie hat den originär linken historischen Kontext. Nur Sie ist noch mit wirklich linken Politikern besetzt, wie wir sie noch aus früheren Zeiten kennen. Nur diese Partei hat einen wirklichen linken antikapitalistischen Ansatz. Grüne und SPD sind KEINE linken Parteien!

    • @Rudolf Fissner:

      "Nur Sie hat den originär linken historischen Kontext."

       

      Uiuiui, wollen sie sich damit wirklich auf die SED beziehen?

  • 7G
    74450 (Profil gelöscht)

    "Beispiel zwei: eine freiwillige Arbeitsversicherung für Selbstständige. Das ist ein Feld, das die liberale Ökopartei besser beackern kann als SPD oder Linkspartei, die auf Angestellte und Normalarbeitsverhältnis fokussiert sind. Doch wie viele diese Versicherung nutzen sollen, was sie kostet, wer sie bezuschusst – alles offen."

     

    Ich finde es etwas eigenartig in einem Wahlprogramm Detailkonzeptionen zu erwarten. Ein Wahlprogramm soll einigermaßen knapp (106 Seiten!) skizzieren, was die Partei machen wollte, wenn sie alleine regieren könnte. Es handelt sich um Absichtserklärungen, die für alle Parteimitglieder verständlich bleiben müssen.

     

    Genaue Konzepte, wie ein Versicherungssystem gestaltet werden könnte usw. gehören nicht in ein Wahlprogramm. Gerade Versicherungssysteme sind hochkomplex und nicht selten gleiten Debatten dazu in versicherungsmathematische Feinheiten ab. Das ist Stoff für Konzeptpapiere und Gesetzentwürfe.

     

    Dass die Grünen versuchen nach beiden Seiten offen zu bleiben, gründet auf der Erfahrung der letzten Bundestagswahl. Mit einem dezidiert linken Wahlprogramm sind die Grünen vor vier Jahren ordentlich auf die Nase gefallen. Es macht ganz einfach keinen Sinn in einem Revier zu jagen, in dem schon zwei Parteien zu Hause sind.

    • 2G
      2097 (Profil gelöscht)
      @74450 (Profil gelöscht):

      Genau deshalb macht es für mich keinen Sinn, die Grünen jemals wieder zu wählen. Außerdem was passiert eigentlich, wenn das Ergebnis noch schlechter wird? Geben die Grünen dann auch den ökologischen Schwerpunkt auf und nennen sich dann FDP?

      Momentan hat übrigens nur eine Partei ein linkes Wahlprogramm, die SPD ist leider nicht glaubwürdig und wird vom neoliberalen Seeheimer Kreis dominiert und geführt.

      Das ist sehr ärgerlich, die Linke alleine wird keine soziale Kurskorrektur bewirken. Wäre erfreulich wenn die Grünen und die SPD im sozialen Bereich wieder mehr Kompetenz beweisen würden. Aber davon sind diese Parteien leider immer noch weit entfernt!

  • Es ist aber doch auch so, dass die in diesem Beitrag gar nicht erwähnte Position der Grünen in der Flüchtlingspolitik der eigentliche Grund für einen womöglich dramatischen Absturz sind bzw. sein werden.

     

    Gleichzeitig wundert es mich, dass diese Unfähigkeit der Grünen, Politiken/ moralische Imperative Realitäten anzupassen, nicht mal mehr von den ca. 10 Prozent der Wähler gutgeheißen wird, von denen ich immer dachte, dass sie diese Flüchtlingspolitik voll und ganz mittragen. Die also den einen Pol bilden, dessen andere Seite die geschätzt 80 Prozent bilden, die das, heimlich oder offen, nicht tun.

    • @bleakest:

      Ich denke auch, dass wenn die Grünen die Positionen von Sara Wagenknecht übernehmen würden, Flüchtlinge eine reelle Chance hätten in der BRD aufgenommen zu werden

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @bleakest:

      "Es ist aber doch auch so, dass die in diesem Beitrag gar nicht erwähnte Position der Grünen in der Flüchtlingspolitik der eigentliche Grund für einen womöglich dramatischen Absturz sind bzw. sein werden."

       

      Das ist eine kühne Behauptung. Die Zahlen der Grünen sind doch erst unter 10% gefallen als die Flüchtlingsthematik abgeflaut ist und es stärker um sozialpolitische Themen geht. Worauf stützen Sie Ihre These?

      • @74450 (Profil gelöscht):

        Ich kann mir vorstellen, dass sich langjährige Grünenwähler schwer damit tun, sich von ihrer Partei wegen nur eines Themas abzuwenden. Und wenn Ja, wohin dann? Es könnte auch sein, dass Einzelereignisse wie die negative Äußerung der Grünenchefin Peters zum Polizeieinsatz im Köln beim letzten Sylvester bei so manchen schon wankelmütigen Wählern das Fass zum überlaufen brachten. Nicht alles muss sofort passieren, manches eben zeitversetzt.

        • 7G
          74450 (Profil gelöscht)
          @Rainer Seiferth:

          Ich denke eher, dass zurzeit viele Wähler*innen in Umfragen angeben, sie würden Schulz wählen. Was dann am Wahltag passiert, werden wir sehen. Die Wähler*innenwanderung und die Gründe dafür werden dann spannend sein.

           

          Die Flüchtlingsfrage sehen die Grünen*wählerinnen auch zum letzten Erhebungszeitpunkt noch positiv. 71% sehen eher Vorteile als Nachteile.

          http://www.infratest-dimap.de/fileadmin/user_upload/dt1601_bericht.pdf (Seite 6)

  • Wenn man als Journalist will, dass Parteien konkret sind, eindeutige Ziele benennen und messbare Zahlen nennen - damit man dann später schön skandalisieren kann falls diese Versprechen hinterher nicht eingehalten werden - der erkennt den eigenen Anteil nicht, am Dilemma der nebulösen Versprechungen.

     

    Viel besser und zielführender wäre es das Uklare, Beliebige, Nebulöse anzugreifen und zu entlarfen und es nicht auch noch positiv anzuerkennen indem man beispielsweise schreibt: "Für die FDP mag es reichen an die Macht zu wollen"

     

    Wären alle Parteien so konkret wie die Grünen wäre schon viel gewonnen. Die anderen Parteien wissen aber dass das gefährlich, und letztlich im Wahlkampf nicht hilfreich ist, und die Grünen haben dazugelernt...

    • @Grisch:

      Zustimmung !

    • @Grisch:

      Für mich ist es entscheidend, wie sind die Grünen in ihrer Gesamtheit personell und programmatisch aufgestellt.

      Wollen die Grünen als Gesamtheit: Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung für alle oder nur für die, die es sich leisten können?

      • 7G
        74450 (Profil gelöscht)
        @Jenaer:

        Sie stellen diese Frage glaube ich jetzt zum dritten Mal. Vielleicht hilft eine einfache Antwort: sie wollen es für alle.

        • @74450 (Profil gelöscht):

          Glaube ich nicht, da habe ich schon zu viele GRÜNE gehört.

           

          Und wenn sie es doch wollen, haben sie meist aber leider kein Gefühl für das, was mit ALLE gemeint ist, weil sie alle in ihrem fetten Häuschen sitzen und sich jetzt aufregen, dass es keine Zinsen auf's Ersparte gibt.

          • 7G
            74450 (Profil gelöscht)
            @Hanne:

            Ihre persönliche Erfahrung kann ich Ihnen nicht absprechen. Ich wüsste aber nicht, wie die drei von Herrn Jenaer genannten Begriffe Menschen vorenthalten werden könnten, die es sich nicht "leisten könnten".

             

            Der Begriff Gerechtigkeit ist eine leere Phrase, die mit beliebigen Inhalten gefüllt werden kann. Die anderen beiden Begriffe sind nicht teilbar. Also?