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Kommentar Wahl in VenezuelaKeine Spur vom Frieden

Jürgen Vogt
Kommentar von Jürgen Vogt

Der Chavismus hat sich immer die Zustimmung der Bevölkerung eingeholt. Bei der Wahl am Sonntag fehlte sie. Das Votum spaltet das Land.

Auf der Straße statt im Wahllokal: Demonstranten am Sonntag in Caracas Foto: ap

D ie Wahl der Verfassunggebenden Versammlung (VV) in Venezuela markiert einen tiefen Einschnitt in dem bis dahin noch einigermaßen demokratisch verfassten Staat. Einmal konstituiert, wird die VV aller Voraussicht nach die Auflösung der Nationalversammlung beschließen. Und zwar politisch und räumlich, denn sie wird ihren Sitz im Parlamentsgebäude haben. Als weiteres wird sie die unbequem gewordene Generalstaatsanwältin Luisa Ortega absetzen und das ihr unterstellte autonome Ministerio Público übernehmen.

Der mit der VV versprochene Friede blieb bisher aus. Allein am Wahlsonntag kamen mindestens 15 Menschen bei Protesten ums Leben. Schon jetzt erkennt die rechtspolitisch dominierte Nationalversammlung die chavistische VV nicht an und wird weiter tagen. Innenpolitisch wird sich die Polarisierung durch die Bildung solcher paralleler Institutionen weiter verschärfen. Denn auch die Generalstaatsanwältin wird ihre Absetzung nicht hinnehmen. Zwischen den Polen ringt der größte Teil der Bevölkerung weiter ums tägliche Überleben: Mit der Wahl vom Sonntag ist kein einziges der wirtschaftlichen Probleme gelöst, geschweige denn die Versorgungsnot bei Nahrungsmitteln und Medikamenten gelindert.

Außenpolitisch gerät Venezuela weiter in die Isolation. Die Regierung im Nachbarland Kolumbien machte mit der Bekanntgabe ihrer Nichtanerkennung der VV vergangenen Freitag lediglich den Anfang. Bisher folgten sieben Staaten aus der Region, darunter Argentinien, Brasilien und Mexiko. Erklärungen aus der Europäischen Union deuten in dieselbe Richtung und US-Vizepräsident Mike Pence hatte unmittelbar vor der Wahl die Verhängung von Wirtschaftssanktion von Seiten der Vereinigten Staaten bekräftigt.

Der Chavismus hat sich in den vergangenen 18 Jahren immer die Zustimmung der Bevölkerung eingeholt. So war es auch 1999, beim Referendum über die gegenwärtige Verfassung und auch 2004, beim gescheiterten Abwahlverfahren gegen den damaligen Präsidenten Hugo Chávez. Die Wahl am vergangenen Sonntag fand ohne die breite Unterstützung der Bevölkerung statt. Darüber kann die vom Obersten Wahlrat angegebene Beteiligung von 41,5 Prozent der rund 19,4 Millionen Stimmberechtigten nicht hinwegtäuschen.

Die rechte Opposition blieb der Abstimmung kategorisch fern und die Regierung weigerte sich, internationale WahlbeobachterInnen zuzulassen. Wer nicht in seinem, vom Wahlregister vorgeschriebenem Wahllokal sein Votum abgeben konnte, konnte dies in irgendeinem anderen tun. Der Clou: Als Präsident Nicolás Maduro mit seinem vaterländischen Personalausweis sein Votum abgeben wollte, wies ihn das System als nicht existent ab.

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Jürgen Vogt
Korrespondent Südamerika
Kommt aus Karlsruhe. Studierte Politische Wissenschaft in Hamburg und Berlin und arbeitete zwölf Jahre als Redakteur und Geschäftsführer der Lateinamerika Nachrichten in Berlin. Seit 2005 lebt er in Buenos Aires. Er ist Autor des Reisehandbuchs “Argentinien”, 2024, Reise Know-How Verlag.
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8 Kommentare

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  • Die Propagandamaschine läuft auf Hochtouren. Hier mal ein paar Entgegnungen:

    Eine verfassungsgebende Versammlung, die es laut gültiger Verfassung nicht geben dürfte (nur durch vorherige Volksabstimmung einzuberufen), für die es fast ausschließlich nur regierungstreue Kandidaten zu wählen gab und die durch eine abhängige Justiz (Abschaffung der Gewaltenteilung) gedeckt wird, durch Teilnahme zu legitimieren, wäre großer Unsinn.

    In einem bitterarmen Land, in dem mehr als jeder zweite bei der letzten Wahl für die Opposition gestimmt hat und wo mittlerweile sogar in den Armenvierteln gegen die Regierung aufbegehrt wird, eine von außen gesteuerte, ultrarechte, neoliberale Opposition zu vermuten, klingt genauso weltfremd wie die offiziellen Stellungnahmen 1989 zu den Montagsdemos in Leipzig. Man muss kein Faschist sein, um gegen die Abschaffung der Gewaltenteilung und gegen eine katastrophale Miss- und Vetternwirtschaft aufzubegehren.

    Nach anfänglichen sozialen Erfolgen dank Ölpreisboom ist Venezuela in den letzten 5 Jahren längst wieder auf Drittweltniveau zurückgefallen. Dazu braucht es keinen Extrem-Neoliberalismus. Die Kindersterblichkeit ist auf Rekordhoch, die Kriminalität eine der höchsten weltweit, die Inflation fast vierstellig, Krebspatienten sterben, weil der Staat die knappen Devisen lieber für Tränengas als für Medikamente ausgibt.

    Die Randale in Hamburg wurde auch hier als Votum gegen die herrschende Klasse interpretiert (mit Ausnahme sinnloser unpolitischer Plünderungen und brennender Kleinwagen). Im Gegensatz zu Venezuela wurden in Hamburg (trotz zu erwartender Gewalt) Demonstrationen von einer unabhängigen Justiz (Stichwort Gewaltenteilung) genehmigt, mussten die Demonstranten nicht fürchten, exekutiert zu werden oder anschließend monatelang ohne Verfahren in Militärgefängnissen zu sitzen (wieder Stichwort unabhängige Justiz). Ein vergleich ist also lächerlich.

    • @Claudia M.:

      "Krebspatienten sterben, weil der Staat die knappen Devisen lieber für Tränengas als für Medikamente ausgibt." Wenn bei den Ausschreitungen der Rechten immer wieder auch Krankenhäuser angegriffen werden, ist Tränengas in Notsituationen vielleicht das bessere Mittel um das Leben von Krebspatienten unmittelbar zu retten, weil es sie davor bewahrt bei lebendigen Leibe in einem in Flammen stehenden Hospital zu verbrennen. Dann hilft auch keine Chemo mehr. Nur um mal auf diesen unsäglichen Vergleich Geld für Tränengas v.s. Geld für Krebsheilmittel einzugehen. Denn das ist nun wirklich Propaganda.

  • Die Rechtsaußenkräfte hätten sich ja an der Wahl beteiligen können, wenn sie denn konstruktiv an der neuen Verfassung mitarbeiten möchten.

    Der plumpe Wahlboykott beweist das blanke Gegenteil. Im übrigen liegt die Beteiligung mit 41,5 % deutlich über der beim Operettenreferendum der Rechtskräfte zuvor.

     

    Und Klientelismus soll per se schlecht sein?

    Nö, den betreibt jede politische Kraft in aller Welt, um sich ihrer jeweiligen Basis zu versichern - ein normaler demokratischer Prozess also.

     

    Für sachliche Informationen: https://amerika21.de/geo/venezuela

  • Es wird internationales Mobbing im großen Stil inszeniert und alle gehen der Sache wieder auf den Leim.

     

    Hätte sich die Randale, die unlängst im Hamburger Schanzenviertel stattfand, in Venezuela abgespielt, wäre das als Votum gegen Maduro aufgefasst und einmal mehr sein Rücktritt gefordert worden.

     

    Wir werden uns in Venezuela auf ein zweites Chile 1973 vorbereiten müssen, egal ob das jetzige System nun sozialistisch, sozial oder sonstwie ist.

    Der demnächst folgende Extrem-Neoliberalismus inkl. Ausbeutung der Ölreserven durch internationale Konzerne wird Venezuela wieder auf Drittweltniveau zurückdrücken, aber eine kleine Oberschicht wird wieder volle Töpfe haben, dem Rest wird es ergehen wie der Mehrheit im reichen Ölstaat Nigeria…

    • @Khaled Chaabouté:

      Zitat: "aber eine kleine Oberschicht wird wieder volle Töpfe haben"

       

      Na dann bleibt ja alles beim alten, denn jetzt ist es auch nicht anders.

  • @INSLOT: Fast richtig, aber nicht ganz:

    Maduro ist (noch?) nicht so weltfremd, das Gesellschaftssystem in seinem Land als „Kommunismus“ zu bezeichnen: Noch spricht er, wie sein Vorgänger Chávez vom „Sozialismus“, nämlich des 21.Jh.!

     

    Ehemalige DDR-Bürger werden sich erinnern, wie „Sozialismus“ und „Kommunismus“ im Staatsbürgerkundeunterricht definiert wurden. Nämlich aufgrund der Verteilung der Wohltaten des Staates an seine Bürger:

    Sozialismus = „Jedem nach seinen Leistungen“

    Kommunismus = „Jedem nach seinen Bedürfnissen“ (d.h. im Klartext: Schlaraffenland).

     

    Bekanntlich hat es keiner der Staaten, die nach den Lehren von Marx, Engels, Lenin (, Stalin, Mao Tse Tung) funktionierten, geschafft, wenigstens einen funktionstüchtigen „Sozialismus“ auf die Beine zu stellen, immer kam eine Diktatur heraus. Und in Venezuela geht es in die gleiche Richtung!

  • Warum wird eigentlich immer von "rechter" Opposition gesprochen? Was ist eigentlich daran "rechts", wenn man sich gegen die Abschaffung demokratischer Institutionen wehrt und wirtschaftlichen Sachverstand einfordert?

  • Willkommen in der kommunistischen Realität.

     

    Es endet immer auf die gleiche Weise!