Kommentar Wahl in Tunesien: Gewerkschaft bändigt Islamisten
Tunesien geht weiter unaufgeregt und sicher seinen Weg in Richtung Demokratie. Nicht zuletzt, weil es eine gut artikulierte Zivilgesellschaft hat.
T unesien bleibt Vorbild. Anders als Ägypten – vom Nachbarn Libyen ganz zu schweigen – geht das Geburtsland der Arabellion seinen Weg zur Demokratie mit sicherem, ruhigem Schritt. Am Sonntag wählten die Tunesier ihr erstes Parlament auf Grundlage der neuen Verfassung. Nach den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung 2011 waren es die zweiten freien Wahlen im nordafrikanischen Land.
Es ist das erste Mal, dass die politische Mehrheit im Lande wechselt, friedlich, per Stimmzettel. Die Islamisten von Ennahda, die vor drei Jahren stärkste Partei wurden, mussten sich von den Wählern für ihre Regierungsarbeit abstrafen lassen. Mit Nidaa Tounes gewann eine säkulare Kraft die Wahlen. Ennahda gratuliert artig den Gewinnern, noch bevor das vorläufige Wahlergebnis vorliegt.
Tunesien ist anders, nicht zuletzt, weil es eine gut artikulierte Zivilgesellschaft hat. Deren Kern bildet – in Zeiten neoliberaler Politik mag dies viele verwundern – die mächtige Gewerkschaftszentrale UGTT. Dass Tunesien trotz zweier politischer Morde 2013 nicht im Chaos versank, dass die damals regierende Ennahda den Regierungspalast einem Technokratenkabinet räumte, und dass die neue Verfassung dann zügig fertiggestellt wurde, all das geht auf die Arbeit der Gewerkschaft zurück. Sie verstand es den notwendigen Druck aufzubauen, um alle politische Kräfte zu einem Nationalen Dialog für einen geordneten Übergangs zur Demokratie zu bewegen.
Bereits während der Proteste, die schließlich am 14. Januar 2011 zum Sturz der Diktatur Ben Alis führte, hatte sich die UGTT schützend hinter die demonstrierende Jugend gestellt.
Hinzu kommt eine politische Klasse, die nie ganz vergessen hat, dass unter Ben Ali alle gemeinsam von den gleichen Richtern in die gleichen Gefängnisse gesteckt wurden. Auch in Zeiten hitzigster Diskussionen – und an denen fehlte es in den vergangenen drei Jahren nicht – rissen die Kontakte zwischen Islamisten und säkularen Politikern nie völlig ab. Der politische Gegner wurde so nur in den seltensten Fällen zum politischen Feind. Das ist eine ziemlich gute Grundlage für eine heranwachsende Demokratie.
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