Kommentar Vorratsdatenspeicherung: Nur die Überschrift klingt gut

Laut EuGH verstößt Vorratsdatenspeicherung gegen EU-Grundrechte. Bei genauerer Betrachtung ist das Gutachten aber eine Enttäuschung.

Besser ein bisschen mehr einlagern. Man weiß nie, wann man's brauchen kann. Bild: dpa

Das riecht nach einem Durchbruch für Datenschutz und Bürgerrechte: Die Vorratsdatenspeicherung von Telefon- und Internetdaten verstoße gegen EU-Grundrechte, erklärte der unabhängige Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH). Schon jubeln die Kritiker und hoffen, dass die Große Koalition nun darauf verzichtet, die EU-Vorgabe in Deutschland umzusetzen.

Aber man sollte nicht nur die Überschrift lesen. Was der Generalanwalt in seinem Gutachten beanstandet, ist in Deutschland längst erfüllt oder leicht zu berücksichtigen. Ein Beispiel: Laut EU-Richtlinie dürften die Daten maximal zwei Jahre lang gespeichert werden. Der Generalanwalt hält jedoch eine Obergrenze von nur einem Jahr für ausreichend. Für Deutschland hat das keine Bedeutung, weil die Daten ohnehin nur sechs Monate lang gespeichert werden sollen.

Auch sonst ist das Gutachten eine Enttäuschung. Kein Wort davon, dass bereits eine sechsmonatige anlasslose Speicherung von Telefon- und Internetdaten völlig unverhältnismäßig ist. An keinem Punkt wird die vorsorgliche Massenüberwachung grundsätzlich infrage gestellt. Falls der EuGH dem Gutachten folgt, können die Sicherheitspolitiker gut damit leben.

Auch das Verfassungsgericht hat 2010 die Vorratsdatenspeicherung im Prinzip gebilligt und nur Änderungen in Details angemahnt, etwa beim Schutz der zwangsgespeicherten Daten. Dass es derzeit in Deutschland keine Vorratsdatenspeicherung gibt, liegt nur daran, dass Karlsruhe das Gesetz sofort aufgehoben und sich die schwarz-gelbe Koalition bei der Wiedereinführung als kompromissunfähig erwiesen hat.

Eine solche Hängepartie will der EuGH-Gutachter vermeiden. Die Vorratsdatenrichtlinie soll daher bis zur Neuregelung gelten, selbst wenn sie vom EuGH für rechtswidrig erklärt wird. So aber kann kein Rechtsfrieden entstehen. Über den Umgang mit einem solchen Urteil könnte sich die Große Koalition zerstreiten. Wenn wir Glück haben.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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