Kommentar Von der Leyen-Kampagne: Ministerin ganz ohne Burn-out
Depressionen kann man in der Regel nur mit Antidepressiva und Stimmungsaufhellern bekämpfen. Kampagnen für einen stressfreien Arbeitsplatz helfen da eher nicht.
S ie scheint nicht daran zu leiden: Ursula von der Leyen will im neuen Jahr eine große Kampagne starten - gegen psychische Belastungen in der Arbeitswelt, besser bekannt als Burn-out.
Als wäre sie in ihrem eigenen Hause nicht ausgelastet, mischt sich die CDU-Arbeitsministerin gern mal in andere Ressorts ein. Vor allem Familienministerin Kristina Schröder (CDU) bekommt das in der Debatte um Frauenquoten in Spitzenämtern deutlich zu spüren. Und jetzt langt von der Leyen ins FDP-geführte Gesundheitsministerium.
Nun könnte man sagen, psychische und physische Überforderungen im Job gehen vor allem das Arbeitsministerium etwas an. Aber so einfach ist das nicht. Denn Burn-out ist zurzeit mehr ein Modebegriff als eine klare Diagnose. Die haben Psychologen bislang nämlich noch gar nicht gefunden. Und beklagen daher zu Recht, dass inzwischen alles unter Burn-out fällt, was nur annähernd mit einer Überlastung im Job zu tun hat: Müdigkeit, Unlust, Schlaffheit. Aber auch Depressionen und Suizidgedanken.
ist taz-Redakteurin für Geschlechterpolitik
Vorübergehende Ermüdungserscheinungen im Arbeitsalltag kennen viele. Und mitunter ist der Tipp, doch mal einen Gang runterzuschalten oder Urlaub zu machen, genau richtig. Bei Depressionen kann das allerdings kontraproduktiv sein, in Ruhephasen werden viele Betroffene noch heftiger von ihrem Leiden geplagt.
Die verbale und ideologische Vermischung von Überforderung im Arbeitsalltag und der klinischen Diagnose Depression kann sogar gefährlich sein: Einerseits wird die Lösung eines gesellschaftlichen Problems - die strukturelle Überlastung in der Arbeitswelt - auf die Medizin abgewälzt. Andererseits werden Depressionen mit dem Terminus Burn-out als weniger gefährlich angesehen, als sie sind. Diese Seelenerkrankungen kann man in der Regel nur mit Antidepressiva und Stimmungsaufhellern bekämpfen. Kampagnen für einen stressfreien Arbeitsplatz helfen da eher nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen