Kommentar Urteile des BVerfG: Die Würde der Rauflust
Der Bundespräsident darf Nazis Spinner nennen, wenn er es für nötig hält. Doch bei seiner Wahl sollen alle brav den Mund halten. Das passt nicht.
D er Bundespräsident darf Klartext reden, wenn es um die Verteidigung der Demokratie geht. Er muss sich dabei nicht künstlich neutral ausdrücken, sondern darf Nazis auch mal als Spinner bezeichnen oder die Bürger zu Demos aufrufen.
Diese Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist zu begrüßen. Alles andere wäre absurd. Ein Bundespräsident, der nur kraft seiner Worte wirken kann, darf in der Wortwahl nicht durch kleinliche Vorgaben beschnitten werden. Er muss klar sagen können, auf wen sich seine Kritik bezieht. Und er muss deutliche Worte benutzen dürfen.
Im Ergebnis ist das Urteil also ein Erfolg für den rauflustigen Bundespräsidenten Joachim Gauck, der sich nicht nur mit der NPD, sondern auch schon mit der rechtspopulistischen AfD anlegte. Dass die Karlsruher Richter so schnell eine mündliche Verhandlung ansetzten, kann man aber auch als Warnung sehen, dass er es nicht übertreiben solle.
Im zweiten Verfahren, das Karlsruhe am Dienstag entschied, ging es ebenfalls um den Bundespräsidenten. Bei dessen Wahl in der Bundesversammlung sind Vorstellungsreden der Kandidaten verboten, entsprechende Anträge sind zu ignorieren, entschied das Karlsruher Gericht. Das gebiete die „Würde“ des Amtes.
Die beiden Urteile passen nicht recht zusammen. Einerseits darf der Bundespräsident rauflustig auftreten, wenn er es für nötig hält. Andererseits sollen bei seiner Wahl alle brav sein und den Mund halten. Die Würde eines demokratischen Amtes sollte aber nicht von derartigen undemokratischen Weihevorstellungen abhängen.
Dem Bundesverfassungsgericht ist hier jedoch kein Vorwurf zu machen. Es steht nun mal im Grundgesetz, dass der Bundespräsident „ohne Aussprache“ gewählt wird. Dieses vordemokratische Diskussionsverbot gehört aber schleunigst abgeschafft.
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