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Kommentar Urteil KaradžićNur 40 Jahre

Erich Rathfelder
Kommentar von Erich Rathfelder

Das Urteil ist symbolisch zu verstehen. Jetzt hat Karadžić bessere Aussichten, in die Revision zu gehen. Die Opfer seiner Politik können nicht zufrieden sein.

Enttäuschung auf Seiten der Opfer Foto: dpa

E igentlich steht in fast jedem Land für erwiesenen Mord das Urteil lebenslang an. Wenn man den Mord an Zehntausenden von Opfern zu verantworten hat, offenbar nicht. Angesichts des fortgeschrittenen Alters des Angeklagten könnte man aber milde gestimmt meinen, dass ein Siebzigjähriger 40 Jahre Haft nicht überleben wird, auch wenn die acht Jahre, die er sich schon in Haft befindet, angerechnet werden.

Doch es geht bei diesem Urteil auch um Symbole. Das Zurückweichen des Gerichts von der Forderung der Anklage, eine lebenslängliche Strafe zu verhängen, bietet für Karadžić selbst die Möglichkeit, mit besseren Aussichten als zuvor in die Revision zu gehen. Für die serbische Seite bedeutet das Urteil gegen ihren „Helden“ so eine Art halben Etappensieg, weil man weitermachen kann.

Die Opfer seiner Politik können nicht zufrieden sein. Dass er in zehn von elf Anklagepunkten für schuldig gesprochen wurde, ist zwar bedeutsam und war unumgänglich. Dass aber das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag sich, wie schon bei anderen Verfahren vorher, wiederum davor drückte, die Ereignisse von 1992 ins rechte Licht zu rücken, ist schon bedenklich. Die Systematik der Verbrechen der „ethnischen Säuberungen“ zu negieren, als über 2,2 Millionen Menschen vertrieben und mit über 40.000 weit mehr Menschen ermordet wurden als in Srebrenica 1995, hat – durchaus möglich – etwas mit Politik zu tun.

Ob die Ereignisse von damals nun Genozid heißen müssen oder nicht, ist nicht so erheblich. Doch im Sinne der Anklage die Systematik der damaligen serbischen Politik festzustellen, hätte das Gericht durchaus gekonnt. Das hätte allerdings die Legitimität des heutigen serbischen Teilstaates, die „Republika Srpska“, untergraben.

Geht es also darum, Karadžić zwar zu verurteilen, sein Lebenswerk aber, die durch Verbrechen und Vertreibung errungene serbische Herrschaft über fast der Hälfte des Landes Bosnien und Herzegowinas, zu bestätigen?

Dass die ehemalige rechte Hand der Chefanklägerin Carla del Ponte vor der Urteilsverkündung festgenommen wurde, lässt so etwas vermuten. Denn Florence Hartmann hätte protestiert, sie hat in ihrem Buch schon vor Jahren diesen Zusammenhang thematisiert. Auch den Umstand, dass die Verantwortung Belgrads in anderen Prozessen von Den Haag systematisch ausgeklammert wurde. Soll Serbiens Weg in die EU nicht weiter belastet werden?

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Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.
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16 Kommentare

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  • "Ich kann mich nicht entsinnen, Folter, die Todesstrafe oder etwas ähnliches menschenverachtendes gefordert zu haben."

     

    Wasser und Brot + Isolationshaft verstößt schon genug gegen entsprechende Konventionen. Ich habe mir erlaubt, Ihre "Vorschläge" mit etwas bitterer Ironie zu sehen.

  • Wieso kann man gegen ein Urteil auf lebenslänglich keine Berufung einlegen? Und was hat es mit dem Verfahren gegen die Mitarbeiterin la Pontes auf sich? Ich hätte mir nehr infos gewünscht, worin das Gericht auf schuldig, bzw. unschuldig erkannt hat, oder ist das zu viel der Mühe für einen Korrespondenten;

    • @Gottfried Scherer:

      Berufung gegen Urteile der ersten Instanz ist grundsätzlich möglich. Es gab dort auch schon Berufungsurteile, die dann deutlich höher oder deutlich niedriger ausfielen. Am 28. Juni 2012 wurde Karadžić in einem von insgesamt elf Anklagepunkten, dem Völkermord in bosnischen Gemeinden, freigesprochen. Jetzt wurde er für Kriegsverbrechen bei der Belagerung Sarajewos, Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Teilen Bosniens und für den Völkermord in Srebrenica mit ca. 8000 Toten schuldig gesprochen.

      Karadžić konnte trotz internationalem Haftbefehls 10 Jahre lang unbehelligt untertauchen. Pontes Sprecherin Florence Hartmann erhob damals schwere Vorwürfe gegen Clinton und Chirac, die eine Verhaftung Karadžićs jahrelang verhindert haben sollen. Man war darüber natürlich "not amused".

  • Das furchtbare daran ist dass er seine Haftstrafe(Wenn man dies so nennen will) zu besseren Konditionen verbringen wird als der Großteil der Angehörigen seiner Opfer.

     

    Irgendwie war mir schon klar das diese westliche wischiwaschi Gesellschaft so ein Urteil hervorbringen wird...

    • @Klappstuhl:

      Was schlagen Sie denn vor? Vierteilen?

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Natürlich nicht!, das würde nur kurzzeitig qualvolle Schmerzen hervorrufen.

         

        Aber wäre es denn so schlimm:

         

        Wenn ein Knast wieder ein Knast wäre?

        Brot, Wasser & Suppe statt verschieden Menüs?

        Isolation statt Radios und Fernsehern auf den Zellen?

         

        Knast muss richtig wehtun, sonst verfehlt er seine Wirkung.

        • @Klappstuhl:

          "...das würde nur kurzzeitig qualvolle Schmerzen hervorrufen."

           

          Sie möchten also langfristig qualvolle Schmerzen hervorrufen? Geeignete Räumlichkeiten sind ja aus dem Mittelalter übrig geblieben. Allerdings dachte ich, es hätte seit dem einen gewissen zivilisatorischen Fortschritt gegeben.

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            >Sie möchten also langfristig qualvolle Schmerzen hervorrufen?

             

            Wer lesen kann ist klar im Vorteil! Ich kann mich nicht entsinnen, Folter, die Todesstrafe oder etwas ähnliches menschenverachtendes gefordert zu haben.

            • @Klappstuhl:

              "Ich kann mich nicht entsinnen, Folter, die Todesstrafe oder etwas ähnliches menschenverachtendes gefordert zu haben."

               

              Wasser und Brot + Isolationshaft verstößt schon genug gegen entsprechende Konventionen. Ich habe mir erlaubt, Ihre "Vorschläge" mit etwas bitterer Ironie zu sehen.

            • @Klappstuhl:

              Na & Wer denken kann erst!

              Aber ein fossile moderne -

              Der schwarzen Pädagogik -

              Sans scho - gell¿!!

              kurz - Rechtsstaat geht anders!

              kurz - Grund&Menschenrechte

              Enden weder an Schul- noch

              An JVA-Mauern!

               

              (nich daß ich noch mit Küppi - Ihnen -

              Wie Siggi Plopp - die öh Lektüre von "Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei"

              by Reichsklumpfuß Dr. Joseph G.

              Anempfehlen muß -

              So viel Nachdenke derfts scho sei!

              Danke.;)

              • @Lowandorder:

                Wenn Sie sich schon an einer Diskussion beteiligen wollen, versuchen Sie es doch mal auf Hochdeutsch? Denn, So sehr ich es auch versuche: Ich verstehe Ihren regionalen Kauderwelsch nicht!

                • @Klappstuhl:

                  Bei "regionalem Kauderwelsch" helf' ich immer gern. "So viel Nachdenke derfts scho sei!", heißt: Erst Nachdenken, dann schreiben! Gilt übrigens für alle Regionen gleichermaßen.

        • @Klappstuhl:

          Hola! - mal ganz ironiefrei -

          Bei Kurt Tucholsky nachblättern ~>

          Strafe - Schutz der Gesellschaft -

          Resozialisierung - Ende Gelände!

          Alles sonstige Draufgesattle -

          Von Sühne bis Generalprävention ff

          Ab in die Tonne.

          Punkt.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Schonn - aber nur - wenn -

        Genscher & Co gleichzeitig

        Gehackt gelegt werden.

  • Warum stellt der Autor eigentlich die Legitimität des Uno-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag in Frage? Ihm sollte doch klar sein, dass die Infragestellung des Verfahrens gegen Frau Hartmann das Tribunal und alle seine Urteile in Frage stellt. Oder sind für ihn nur Prozesse rechtmäßig, deren Ergebnisse seiner Weltsicht entsprechen?

  • Richtig ist, dass das Völkerstrafgesetzbuch für Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine lebenslange Haftstrafe vorsieht.

    Lebenslänglich ist aber keineswegs mehr als 40 Jahre. Lebenslange Freiheitsstrafe bedeutet in der Praxis im Bundesdurchschnitt 19,9 Jahre Haft.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Lebenslange_Freiheitsstrafe