Kommentar Ungarn: Die "Ehre Ungarns" verteidigt
Orbán grinst in Straßburg. Er muss zwar ein wenig nachgeben, um EU-Gelder zu bekommen. Aber den Geist seiner Reformen trägt er weiter wie eine Monstranz vor sich her.
V iktor Orbán reiste am Mittwoch zum Europäischen Parlament nach Straßburg, um, wie er es seinen eigenen Anhängern versprochen hatte, "die Ehre Ungarns gegen die Attacken der europäischen Linken" zu verteidigen. Dafür handelte er sich den Spott von Daniel Cohn-Bendit ein, der die Frage stellte, ob der Christdemokrat José Manuel Barroso, Hillary Clinton und viele andere bürgerliche Kritiker der Linken beigetreten seien.
Bei der Debatte selbst aber zeigte sich die Spaltung des Europäischen Parlaments, das sich außerstande zeigte, das am Dienstag beschlossene Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn geschlossen zu verteidigen. Wie in den vergangenen Monaten stellte sich die EVP-Fraktion, angeführt von dem Franzosen Joseph Daul, schützend vor den ungarischen Parteifreund.
Die Konservativen und Christdemokraten machten sich Orbáns Argumente gegen alle Kritiker zu eigen und feierten das überfällige Ersetzen der stalinistischen Verfassung durch ein modernes Grundgesetz, das Minderheiten schütze und Grundrechte garantiere.
ist Österreich-Korrespondent der taz.
Sozialdemokraten, Liberale und Grüne ihrerseits geißelten nicht nur die drei konkreten Anlässe für das von der EU-Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren - Unabhängigkeit von Justiz und Zentralbank sowie Aufweichung des Datenschutzes -, sondern verurteilten "den Geist", der hinter der Verfassung und zahlreichen Gesetzen sichtbar werde, einen autoritären Geist, der darauf gerichtet sei, die eigene Macht auf lange Zeit abzusichern. Damit haben sie in der Sache recht.
Orbán fühlt sich als Sieger
Doch wenn es um konkrete Verfehlungen geht, ist es wenig hilfreich, mögliche böse Absichten zu thematisieren. Das zufriedene Lächeln, das während der Debatte immer wieder über Orbáns Gesicht huschte, verriet, dass sich Ungarns Premier bereits als Sieger fühlt. Er wird gegenüber der eigenen Klientel kleinere Abstriche von den kritisierten Gesetzen als Korrektur nebensächlicher Details darstellen können und sich gleichzeitig den Wünschen Brüssels beugen.
Vor allem in Fragen der Unabhängigkeit der Zentralbank muss er nachgeben, wenn Ungarn in den Genuss der vitalen Finanzspritze von EU und Währungsfonds kommen will. Aber den Geist seiner Reformen, den trägt er weiterhin wie eine Monstranz vor sich her. Der Auftritt in Straßburg war ein klarer Etappensieg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW