Kommentar Ukraine-Gipfel: Eine unsägliche Hängepartie
Immer mehr EU-Staaten wenden sich von der Ukraine ab. Eine Abkehr der Ukrainer von Europa könnte wie in der Türkei enden.
So tun als ob“, lautet die Devise, die am Donnerstag einmal mehr beim EU-Ukraine-Gipfel zu hören war. Trotz gegenteiliger Zusagen eiert Brüssel in der Frage einer Visaliberalisierung weiter herum und vertröstet die UkrainerInnen auf einen späteren, noch unbekannten, Termin. Staatspräsident Petro Poroschenko kontert, Kiew habe doch alle geforderten Hausaufgaben erledigt. Das klingt zwar gut, entspricht aber keineswegs der Realität. Geschönte Vermögenserklärungen haben erst jüngst wieder gezeigt, wie hochrangige Politiker und Staatsbedienstete es mit der Korruption und deren Bekämpfung halten.
Klar ist: Beide Seiten stehen unter erheblichem Druck. Poroschenko kehrt wieder einmal mit leeren Händen nach Hause zurück, was den Unmut seiner Landsleute weiter steigern und ihre Aufgeschlossenheit gegenüber demokratischen Reformen nicht gerade befördern dürfte. Wie anders sollen sie denn die Botschaft interpretieren, unwillkommen und damit Bürger zweiter Klasse zu sein? Einmal abgesehen von den demütigenden Prozeduren, die einer Reise in die Schengen-Staaten jedes Mal voran gehen.
Die EU hat das Problem, dass immer mehr Staaten in Sachen Ukraine aus ganz unterschiedlichen Gründen auf die Bremse treten. Dass es dabei mitunter um alles andere als die Ukraine geht, zeigt das Nein der Niederländer beim diesjährigen Referendum über eine Ratifizierung des Assoziierungsabkommen mit Kiew. Nicht zuletzt dieser populistische Vorstoß könnte sich jedoch jetzt als Hemmschuh einer weiteren Annäherung erweisen.
Die EU muss endlich Farbe bekennen und diese unsägliche Hängepartie beenden. Tut sie das nicht, könnte sich in der Ukraine ein Szenario ähnlich wie in der Türkei wiederholen. Dort hat sich ein Großteil der Menschen schon lange vor dem Repressionskurs des jetzigen Präsidenten Tayyip Erdogan von Europa abgekehrt. Kann Europa das wirklich wollen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance