Kommentar Überwachung der Presse: Jedem seine Akte!
Der niedersächsische Verfassungsschutz bespitzelte Journalisten. Es wird Zeit, die Vorgänge vollständig offenzulegen.
ber den deutschen Verfassungsschutz gibt es eine niedliche Vorstellung: Da sitzen doch vor allem Beamte in braunkarierten Sakkos an ihren Tischen und lesen Zeitung. Die schönsten Textstellen schneiden sie dann aus und kleben sie in ihre Akten.
Das ist wohl eher Quatsch. Der jüngste Verfassungsschutzskandal in Niedersachsen allerdings zeigt, wie verfassungsfeindlich auch jener Teil der Behörde agiert, der zur beliebten Gruppe der Schreibtischspitzel gehört.
In der Verfassungsschutzbehörde wurde über Jahre hinweg Material zu Journalistinnen und Journalisten gesammelt, die sich etwa kritisch mit Rechtsextremismus auseinandergesetzt haben. Das allein ist schon skandalös.
Darüber hinaus hat das Amt aktiv gelogen und vertuscht – etwa als taz-Autorin Andrea Röpke 2012 in einem Auskunftsersuchen wissen wollte, ob es in der Behörde Daten über sie gäbe. Statt gesetzgetreu und wahrheitsgemäß zu antworten, sendete ihr das Amt ein höfliches „Nein“ – und löschte vorsichtshalber die illegal gespeicherten Daten.
Wie viele weitere Journalistinnen und Journalisten eine Akte bei den niedersächsischen Verfassungsschützern haben, ist bislang unbekannt. Nun gibt es aber eine wesentliche Bedingung im Rechtsstaat: Wer staatlicher Repression unterworfen ist, muss die Möglichkeit erhalten, sich rechtlich dagegen zu wehren.
Erst am Mittwoch erzählte der Stasiunterlagenbeauftragte Roland Jahn in Berlin vor Informationsfreiheitsbeauftragten aus aller Welt stolz, was eine der Hauptforderungen der Bürgerrechtler während der friedlichen Revolution in der DDR war.
Der Schlachtruf: „Jedem seine Akte!“ Es ist keine Beiläufigkeit, wenn dieses Grundrecht von deutschen Behörden nun nachweisbar unterlaufen wird. Die Konsequenz aus derartigen Rechtsbrüchen muss sein, dass die Verantwortlichen ihren Job verlieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken