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Kommentar TrauerfeierEhrliche Gesten des Verzeihens

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Angela Merkel hat den richtigen Ton getroffen. Das ist zu wenig. Die Antworten auf die Fragen, wie es zu den Morden kommen konnte, sind wir den Opfern schuldig.

B ei staatlichen Trauerfeiern geht es gravitätisch und erhaben zu. Nichts Zufälliges soll geschehen, alle Heftigkeiten und Verzweiflungen sind eingepegelt. Die Trauerfeier für die zehn Opfer des Neonazitrios hatte eine andere Temperatur. Nicht weil Angela Merkel eine angemessene Rede hielt, die fast vergessen ließ, dass auch sie eine Weile Anti-Multikulti-Parolen schwang. Nicht weil diese Trauerfeier ein überfälliges Symbol ist, das zeigt, dass auch Konservative nicht mehr über "Beileidstourismus" höhnen wie Kohl 1993 nach den Morden in Solingen.

Diese Trauerfeier war anders, weil Ismail Yozgat, Vater eines Opfers, das Wort ergriff. Auf Türkisch. Was er sagte, war nicht spektakulär. Es war kein politisches Manifest, schon gar keine Wutrede, sondern vor allem eine Dankadresse. Ein paar Sätze, eine Mischung aus Selbstbehauptungswillen und jener an Demut grenzenden Bescheidenheit, die typisch für die erste Einwanderergeneration ist.

Menschen wie Ismail Yozgat sind in unserer Gesellschaft unsichtbar. Sie reden nicht bei Empfängen, sie sitzen nicht in Talkshows. Sie tauchen in Medien, wenn überhaupt, als Integrationsverweigerer auf, die zu faul sind, Deutsch zu lernen, als böse Familienpatriarchen, als Sozialschmarotzer oder bestenfalls als Gemüsehändler in der Vorabendserie. Berührend war dieser Auftritt, weil jemand aus dieser unsichtbaren Einwanderergeneration auf großer Staatsbühne in Erscheinung trat.

taz
Stefan Reinecke

ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.

Und weil er etwas Einfaches, aber Wichtiges sagte. Als 2006 sein Sohn ermordet wurde, glaubten Ismail Yozgat und viele Migranten, dass die Täter Rassismus antrieb. Neun Morde an Einwanderern, alle mit der gleichen Waffe verübt. Doch die Behörden suchten die Täter im Familienkreis, bei der PKK, bei Drogendealern, sie suchten die Schuld für die Morde bei den Opfern selbst. Ismail Yozgat hat gestern gesagt: "Unser Vertrauen in die deutsche Justiz ist groß." Das ist kein selbstverständlicher Satz. Es ist eine souveräne, unverstellte Geste des Verzeihens.

Angela Merkel hat das doppelte Leid der Angehörigen der Toten ins Zentrum gerückt. Sie hat den richtigen Ton getroffen: zurückgenommen, aber nicht unpersönlich oder bloß formal. Die Kanzlerin hat einen rhetorischen Bogen gespannt, der einer Pastorentochter entspricht: vom Finsteren zum Licht, von den quälenden Verdächtigungen der Opfer hin zu einer besseren Gesellschaft, mit mehr Gemeinsinn und Empfindsamkeit für Rassismus.

Nichts daran ist falsch. Aber es ist zu wenig. Denn diese Mordserie offenbart, viel mehr als Mölln oder Solingen, staatliches Versagen. Es ist ein Desaster der Polizei und vor allem des Verfassungsschutzes, der die Ermittlungen eher behindert als beflügelt hat. Bessere Koordination der Behörden zu versprechen, wie Merkel, ist zu wenig. Warum suchten die Ermittler überall, aber nicht im Neonazimilieu? Warum konnte das Neonazitrio abtauchen? Die Antworten stehen aus. Wir sind sie den Opfern schuldig.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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6 Kommentare

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  • B
    Beate

    @ vic

     

    Bullshit!

    Ich gehe mal schwer davon aus, dass Sie Frau Merkel noch nie persönlich begegnet sind. Und Sie behaupten, diese Frau sei nicht empathiefähig, hätte auf "Betroffenheitsmodus" umgeschaltet, usw...

     

    Woher wissen Sie das? Ist Ihnen klar, wie sehr Sie sich auf das sehr dünne Eis der Unterstellungen begeben? Sie mögen Frau Merkel vielleicht nicht, womöglich können Sie das auch begründen. Nur mit hellseherisch anmutenden Behauptungen um sich zu werfen, bringt nichts. Tolles Niveau, wirklich.

     

    Mein Eindruck war anders. Ihre "Betroffenheit" fand ich nicht gespielt.

    Vielleicht fehlt Ihnen - im Gegensatz zu Stefan Reinicke und anderen - die Empathie, Empathie bei anderen erkennen zu können.

  • H
    h.yurén

    merkels rede war angemessen. an ihr ist nicht viel auszusetzen. aber eines fehlte: zwar sagte sie, dass aus worten taten werden können. aber sie sagte nicht, dass die worte und zeichen der neonazis im nazinachfolgestaat prinzipiell und konkret verboten sein müssen, damit aus worten nicht wieder solche mordtaten werden.

  • F
    Friederike

    Das sind wir den Opfern schuldig?

     

    Diese Antworten ist der STAAT allen Bürgern SCHULDIG, aufzuklären und zu berichten, welche Schweinereien auch da intern in den Behörden gemacht wurden!

     

    Wie unpolitisch kann man in einem Land noch sein, das man nicht sieht, wo unsere Politik hindriftet.

  • V
    vic

    Gemach.

    So etwas wie Empathie kennt Merkel nicht.

    Sie hat gestern in den Betroffenheitsmodus geschaltet, und sie trug vor, was ein Lohnschreiber ihr zum erwähnten Modus passend aufgeschrieben hat.

    Ohne die Merkel Regierung und deren "Sicherheitsarchitektur" wären die Morde so nicht möglich gewesen.

  • WI
    Wer ist "Wir"??

    "Die Antworten stehen aus. Wir sind sie den Opfern schuldig."

     

    Herr Reinecke, da bin ich ganz Ihrer Meinung.

    Da Sie so schön von "Wir" schreiben: Was konkret gedenken SIE denn zu tun, um Antworten zu geben?

    Das würde mich wirklich sehr interessieren.

     

    Politiker und Journalisten haben vermutlich weitaus mehr gemeinsam, als es insbesondere der schreibenden Zunft gefällt.

    Eine gemeinsame Kernkompetenz: Sowohl Politiker als auch Journalisten können ganz toll schöne Worte produzieren.

     

    Ich habe den Verdacht, dass auch Sie der gängigen Gepflogenheit folgen, "Wir" eher mathematisch-bequem zu definieren:

     

    Wir = Alle Anderen - Ich

     

    Wäre schön, wenn Sie, bzw. die taz allgemein mich eines besseren belehren würden. Nur fürchte ich, in diesem Leben wird nichts mehr daraus.

  • S
    suswe

    Der VS muss auf seine politische Übereinstimmung mit NPD und so weiter überprüft oder ganz abgeschafft werden.