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Kommentar Todesurteil für MursiShakespeare in Kairo

Kommentar von Karim El-Gawhary

Die Botschaft an die Muslimbrüder ist deutlich: Die Beteiligung am demokratischen Prozess bringt nichts. Und der Westen hofiert die Diktatoren.

Ein Bild des früheren Präsidenten Mohammed Mursi klemmt im Stacheldraht. (Archivbild) Bild: reuters

D ie ägyptische Rachejustiz hat sich mit dem Todesurteil gegen den ehemaligen gewählten Präsidenten Muhammad Mursi noch einmal selbst übertroffen. Das Urteil reiht sich in eine ganze Reihe von Massentodesurteilen.

Mit Mursi wurden 106 andere führende Muslimbrüder, aber auch Mitglieder der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hisbollah zum Tode durch den Strang verurteilt. Dass Amnesty International den Prozess um einen Gefängnisausbruch als eine Scharade, bezeichnet, die nichts mit einem rechtsstaatlichen Verfahren zu tun hat, ist dabei eine fast harmlos ausgedrückte Kritik.

Einige der Hamas-Mitglieder, die in Abwesenheit verurteilt wurden, sind bereits tot, manche lebten schon zum der Tatzeitpunkt nicht mehr. Ägyptische Gerichte verurteilen also inzwischen Tote zum Tode. Vielmehr muss man über die Arbeitsweise der Staatsanwaltschaft und des Gerichtes eigentlich nicht wissen, um die Professionalität des Verfahrens zu beurteilen.

Vielleicht, um das Bild der ägyptischen Justiz zu vervollständigen, ist es noch erwähnenswert, dass der Innenminister und die Sicherheitschef der Mubarak-Zeit genauso wieder auf freiem Fuß sind, wie die korrupten Mubarak-Amigos der ägyptischen Geschäftswelt. Das alte Regime wird freigesprochen und die Muslimbrüder zu Tode verurteilt. Das hat System.

Langer Rechtsweg voraus

Nun gehen die Akten der zu Tode verurteilten Muslimbrüder zur Abwägung an den Mufti des Landes. Ironie der Geschichte: Ausgerechnet der Mufti, der einst vom Präsidenten Mursi eingesetzt worden war, soll jetzt dessen Todesurteil absegnen. Das trägt die Züge eines Shakespeare-Stückes, übertragen in eine tragische Wirklichkeit.

Am 2. Juni will das Gericht dann endgültig entscheiden. Die Mursi-Gerichtsaga wird damit aber noch lange nicht zu Ende sein, bleibt den Verurteilten dann immer noch die Möglichkeit vor das Kassationsgericht zu gehen.

Vorgezeichnet ist eine Eskalation der Bombenanschläge und vielleicht auch der Proteste auf der Straße, wenngleich mit Blick auf Demonstrationen Präsident Abdel Fatah Al-Sisi und sein Sicherheitsapparat in den letzten Monaten bewiesen haben, dass der Repressionsapparat funktionieren und für relative Ruhe sorgen kann.

Das wohl problematischste an diesem Urteil ist die gefährliche Botschaft, die sie an die Islamisten aussendet, nach dem Motto: Schaut was passiert, wenn ihr euch am demokratischen Prozess beteiligt. Welche politischen Schlüsse dürften junge Muslimbrüder daraus ziehen? Fühlen sie sich bei der Muslimbruderschaft noch aufgehoben? Die Dschihadisten des Islamischen Staates dürften sich freuen und mit offenen Armen auf die Enttäuschten warten.

Hofierte Autokraten

Und der Westen? Der macht den gleichen Fehler, wie schon in den letzten Jahrzehnten vor den arabischen Aufständen und setzt erneut auf repressive Regimes als Garanten für Stabilität. Die haben die arabischen Revolutionen gekapert, sie oft in Bürgerkriege oder Chaos umgewandelt, um dann die Revolution für die Bürgerkriege und das Chaos verantwortlich zu machen und sich selbst als Retter zu inszenieren. Das hat wunderbar geklappt.

Die Autokraten am Golf werden wie eh und je weiter im Westen hofiert. Ein Al-Sisi ist in europäischen Hauptstädten salonfähig. Selbst der Massenmörder Assad wird inzwischen unter der Hand als bessere Alternative angesehen.

Der Westen tappt immer wieder in die gleiche Falle der arabischen Autokraten, die ihm erklären: „Wenn ihr den IS nicht haben wollt, müsst ihr mit uns vorlieb nehmen". Derweil sind repressive arabische Regime und militante Islamisten zwei Seiten derselben Medaille. Sie bedingen sich gegenseitig, und rechtfertigen ihre Existenz mit dem jeweils andern. Die arabischen Autokraten sind nicht das Bollwerk gegen radikale und militante Islamisten, sie sind der Grund warum diese entstanden und so erfolgreich sind.

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9 Kommentare

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  • Dem Westen war es schon immer herzlich egal was für Regime in Ägypten herrschte und ob das Volk etwas auszustehen hatte. Solange sie halfen Stabilität in der Israelsituation zu schaffen, wurden sie hofiert und mit Waffen (z.B. Heckler & Koch) beliefert. Vor allem die USA hielten es seit vielen jahrzehnten für praktischer mit Diktatoren zu verhandeln als mit Musterdemokratien. In Diktaturen ist die zu schmierende Schicht übersichtlicher und leichter zu beeinflussen

  • Hofieren der Diktatoren?

    Bei allem schuldigen Respekt: Die Anschuldigung ist schlichtweg lächerlich.

    Während Mursi im Amt war, hat die EU versucht, ihn zum Dialog mit seinen Kritikern zu bewegen,

     

    http://www.bbc.com/news/world-middle-east-20322407

     

    als er aus dem Amt geputscht worden war, hat die EU versucht, zwischen ihm und dem Militär zu vermitteln.

     

    http://www.washingtonpost.com/world/eu-leader-meets-with-ousted-morsi/2013/07/30/eb8c370c-f8da-11e2-a954-358d90d5d72d_story.html

     

    Die EU hat eben getan, was sie immer tut: Nach einer diplomatischen Lösung gesucht. Was wäre dem Autor denn lieber gewesen? Militärische Intervention? Nicht wirklich, oder?

    • @AEuropean:

      In der Tat liefert der Artikel nicht viele Belege für seine These, auch nach dem arabischen Frühling zu repressiven Regimen besonders nett zu sein.

    • @AEuropean:

      Hier ist jedoch wohl ausnahmsweise mal nicht Mursi gemeint, sondern das jetzige Regime und andere ähnliche Regime in anderen Ländern der Region. Wie es eben auch dort geschrieben wurde. Sprich ein Assad oder jene in Saudi-Arabien. Gaddafi hat es sich damals dann ja eher selber verspielt, so dass er selbst für die EU irgendwann nicht mehr tragbar war.

    • @AEuropean:

      "Die Anschuldigung ist schlichtweg lächerlich."

       

      Wie würden Sie es denn bezeichnen, wenn man Diktatoren Waffen und Geld in den Hintern stopft?

  • Esd war einmal ein amerikanischer Präsident, der glaubte, dass auch die Araber nichts anderes wollen als ein besseres und freieres Leben? Seine damalige US-Außenministerin Condoleezza Rice war es, die die schärfste Kritik formulierte, die sich Mubarak jemals in aller Öffentlichkeit anhören musste.

    "Im Juni 2005 sprach sie an der Amerikanischen Universität in Kairo - dort, wo Barack Obama vier Jahre später seine wohltemperierte Rede halten sollte - in fast rotznäsiger Weise von willkürlichen Verhaftungen und niedergeprügelten Demonstranten, um selbstkritisch hinzuzufügen: "60 Jahre lang haben die Vereinigten Staaten in dieser Region Stabilität auf Kosten der Demokratie verfolgt - und weder das eine noch das andere erreicht. Jetzt schlagen wir einen anderen Kurs ein. Wir unterstützen die demokratischen Bestrebungen aller Völker." (taz 2011)

    Leider wollten aber Russen, Franzosen und Deutsche lieber weiter mit ihren arabischen Marionetten ihr Spiel spielen. Und als die arabische Jugend aufbegehrte und die Marionetten stürzten, sah der Westen ratlos zu.

  • Ich finde die Todesurteile auch falsch bis lächerlich. Allerdings möchte ich zu der angeblichen "Botschaft" etwas anmerken: der Putsch - kann man wohl so nennen - gegen Mursi fand statt, nicht weil er und die Muslimbrüder die Wahlen gewonnen hatten, sondern weil sie drauf und dran waren, diesen einen Wahlsieg zu nutzen, die Rechte der Gegner nahezu vollständig zu beschneiden und einen islamischen Staat nach eigener Vorstellung aufzubauen. Damit hätte zwar die Mehrheit der Ägypter kein großes Problem gehabt, zu einer Demokratie gehört aber auch die Möglichkeit des Wandels und Minderheitenschutz.

     

    Nun ist möglicherweise das Gegenteil eingetreten, von dem was die Muslimbrüder wollten. Aber sie hier als "Demokraten" zu verkaufen, deren Sieg von anderen zunichte gemacht wurde, ist sicher nicht richtig. Es gab bei den Wahlen mehrere starke Gruppierungen, die eine gemeinsame demokratische Verfassung hätten ausarbeiten sollen: eine solche, die eben nicht einen islamischen Staat festschreibt, sondern für die Zukunft je nach Wahleregebnis Entwicklungen zulässt zu mehr Religion oder mehr Freiheit. Dazu waren die Muslimbrüder nicht bereit. Dafür darf man sie nicht zum Tode verurteilen, aber man sollte schon erkennen, dass auch mit ihnen an der Spitze Ägypten kein demokratischer Staat geblieben wäre.

    • @Dr. McSchreck:

      "...zu einer Demokratie gehört aber auch die Möglichkeit des Wandels und Minderheitenschutz."

       

      Und unter al Sisi ist das gegeben? Eher nicht. Er hat eine konservative Regierung durch eine brutale Diktatur ersetzt. Die Maßnahmen, die man medienwirksam Mursi vorgeworfen hat, waren hauptsächlich darauf gerichtet, die Überbleibsel der Mubarak Diktatur zu beseitigen und Leute wie Sisi zu entmachten. Dies hätte der Demokratie in Ägypten bestimmt nicht geschadet.

    • @Dr. McSchreck:

      eine demokratie ist nicht von heute auf morgen perfekt. in tunesien waren auch sogenannte islamisten an der macht und haben auch so schlimme dinge getan wie die religion in die öffentlichkeit zu tragen. die wurden übrigens abgewählt. al-sisi wird im westen sicher bald (offen) hofiert.