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Kommentar Strategie für OstdeutschlandFünf Minuten vor der Angst

Anja Maier
Kommentar von Anja Maier

CDU und SPD versprechen eine Entwicklungspolitik für den Osten. Die kommt etwa 30 Jahre zu spät. Aufgeben ist dennoch die schlechteste Option.

Gute Infrastruktur? Vielleicht. Aber Jobs sind in Brandenburg zum Teil nicht so üppig vorhanden Foto: dpa

D ie „Zeit für eine Politik nach Himmelsrichtungen“ sei „abgelaufen“, schreibt die CDU in ihrem Strategiepapier für Ostdeutschland. Das ist insofern lustig, als die CDU und ihre Koalitionspartnerin SPD nun exakt dies versprechen: Entwicklungspolitik für den Osten. Beide haben Konzepte vorgelegt, wie sie zwischen Suhl und Sassnitz strukturelle Nachteile ausgleichen und gekränkte Gefühle heilen wollen. Von Netzausbau über die Grundrente bis zu einem deutsch-deutschen Begegnungszentrum ist alles dabei.

Man kann das doof finden und angstgetrieben. Schließlich zeigt ja schon ein kurzer Blick auf die Umfragen zu den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, was das Problem der beiden Parteien ist: Die AfD ist vor allem der CDU dicht auf den Fersen. Aber nichts zu tun und ganze Landstriche den RechtspopulistInnen zu überlassen ist auch keine Option. Aufgeben ist die denkbar schlechteste Option.

Berechtigt ist jedoch die Frage, warum die Parteien erst jetzt, fünf Minuten vor der Angst, mit strukturellen Maßnahmen um die Ecke kommen. Hinter diesem wiedervereinigten Deutschland liegen drei Jahrzehnte, in denen man offenbar meinte, es reiche doch, den Ostdeutschen zu sagen, wie froh sie sein dürften, aus der Diktatur befreit worden zu sein. Dass sie selbst es waren, die sich befreit hatten, wurde schon mal übersehen. Ebenso, dass die ganze schöne Freiheit nicht geschätzt wird, wenn der Staat signalisiert, dass er selber nicht an eine Zukunft glaubt und sich schon mal vorsorglich zurückzieht.

Ja, es gibt sie, die durchsanierten Städtchen und tipptopp ausgebauten Straßen. Aber es sind Straßen, auf denen kaum jemand fährt. Wohin auch? Eher nicht zu Produktionsstandorten, Hochschulen, mittelständischen Unternehmen und gut ausgestatteten Kommunen. Klar ist, es reicht ganz offensichtlich nicht, Marktwirtschaft als Konzept zu verstehen, das auf die Kraft des Einzelnen setzt, wenn dieser Einzelne mit vierzig Jahren Verspätung Mitglied der Familie wird. Gut möglich, dass es jetzt tatsächlich zu spät ist.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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4 Kommentare

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  • Auf die Frage, warum hier alles verlottert und für nix mehr wirklich Geld da ist, gab man mir zur Antwort, dass der Aufbau Ost eine Jahrhundertaufgabe für Generationen sei. Nun muss ich erfahren, dass der Aufbau Ost auch in die Hose ging, also außer Spesen nix gewesen, es braucht erneut übermenschliche Anstrengungen.



    Anstatt aber nun die Missstände im ganzen Land konsequent anzupacken, bekomme ich aus Berlin ein fatales Signal. Wähle und vertrete authentisch die AfD, dann werden wir uns aus Angstvum dich kümmern! Hoffentlich macht der Westen nicht diesen Umkehrschluss.

  • Es wurde 30 Jahre lang gefördert - mit Milliarden. Durch die Bundesregierung aber auch durch Dumpinglöhne. Dabei zeigt sich, dass Förderung manchaml das Gegenteil von dem erreicht, was sie erreichen soll.



    Die einseitige Förderung muss zu einem Ende kommen. Das bedeutet kein Soli nur für den Osten mehr, keine Dumpinglöhne mehr sondern gleiche Förderkriterien in Ost und West.



    Damit endet die einseitige Förderung der Industrie im Osten und die Benachteiligung der Angestellten und Beamten in Ostdeutschland.

  • CDU, SPD, dummes Zeug.

    Im Mittel u.a. zu niedrige Löhne (bundesweit), Beförderungsstaus bei Polizei und Verwaltung, Kommunen lässt man das Vermögen der Reichen finanzieren, Altschulden, die meisten haben kein oder nur kaum Vermögen - so sieht "euer" Osten auch aus.

  • "Berechtigt ist jedoch die Frage, warum die Parteien erst jetzt, fünf Minuten vor der Angst, mit strukturellen Maßnahmen um die Ecke kommen. Hinter diesem wiedervereinigten Deutschland liegen drei Jahrzehnte, in denen man offenbar meinte, es reiche doch, den Ostdeutschen zu sagen, wie froh sie sein dürften, aus der Diktatur befreit worden zu sein."

    Eben. Warum sollte man ihnen jetzt glauben? Versprochen wurde in den letzten 30 Jahren viel...