Kommentar Stereotype über Fußballprofis: Gar nicht mal so blöd
Seit der Freiburg-Stürmer Nils Petersen gesagt hat, er fühle sich intellektuell unterfordert, kocht die Klischeeküche. Zu Unrecht.
F ußballprofis haben es verdammt schwer – das ist ein Satz, der eigentlich allen vorbehalten ist, die gern Ironie markieren wollen. Achtung, jetzt wird es lustig! Aber an dieser Stelle ist dieser Satz verdammt ernst und sogar wertschätzend gemeint. Unerträglich muss es sein, sich ständig mit der Dummheit der Welt herumschlagen zu müssen.
Denn der normale Fußballprofi gilt als doof. Wie das Gesetz der Schwerkraft zählt dies zum gesicherten Wissen. Auch zum Allgemeinwissen zählt, dass man den Urheber des Satzes „Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien“ benennen kann. Outet sich hingegen mal ein Profifußballer als Romanleser und Museumsbesucher, dann wird er vorgeführt wie ein Zirkuslöwe, der Klavier spielen kann.
In den vergangenen Tagen hat sich also schon wieder so eine Diskussion um die angebliche Doofheit der hauptberuflichen Fußballer entsponnen. Auslöser war der Freiburger Profi Nils Petersen, der sich in einem Focus-Interview zur intellektuellen Unterforderung in seinem Beruf geäußert hat. Die Häme der ganzen Nation war ihm damit gewiss.
Haufenweise Bücher und Museumskarten wurden ihm zugeschickt. Und als Petersen maßgeblich dafür sorgte, dass Köln trotz eines 3:0-Vorsprungs gegen Freiburg verlor, titelte die Bild: „Köln zu blöd für Petersen“. Obendrein entdeckte die Berliner Zeitung auch noch eine Studie, nach der die Profis im deutschen Fußball größtenteils unqualifiziert sind, um nach ihrer Karriere im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Die dämliche Debatte über die intellektuelle Dürftigkeit der Profikicker will gar kein Ende nehmen. Und Kronzeuge Petersen wird immer wieder ins Kreuzverhör genommen. Dabei stellte sich heraus, dass der Freiburger Stürmer nebenbei BWL studiert. Den Ermittlungseifer der Blödheitsforscher hat das nicht im mindesten ausgebremst, ebensowenig wie der Umstand, dass mittlerweile zwei Drittel der Profis Abitur haben.
Es mag wie überall auch unter den Fußballern Begriffsstutzigere geben. Die eigentliche Frage von Interesse ist jedoch: Aus welchem Grund erwarten wir denn Intelligenz, Belesenheit und rhetorische Versiertheit von einem Fußballprofi? Welcher Anspruch steckt dahinter? Warum wird das nicht auch von Straßenbahnfahrern, Physiotherapeuten und Sachbearbeitern auf den Behörden eingefordert?
Übrigens: Von Nationalspieler Sami Khedira mal abgesehen hat sich keiner der Fußballprofis bislang auf diese sinnlose Debatte eingelassen. Das ist verdammt klug.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind