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Kommentar SpitzenkandidatenDie Angst-Gegner

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Parteien links von der AfD setzen im Bundestagswahlkampf auf proeuropäische Kandidaten. Die müssen nun etwas daraus machen.

Europäischer Hintergrund: SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz Foto: dpa

G ut, es ist wieder keine Frau. Und wieder kein Linker. Auch ökologisches Interesse ist von Martin Schulz bisher nicht überliefert. Aber bleiben wir realistisch: Man kann bei einer SPD-Kanzlerkandidatur nicht alles haben. Diese 20-Prozent-Partei kann und soll ja auch in Zukunft nicht allein regieren. Unter den aktuellen Umständen ist die Nominierung von Martin Schulz das bestmögliche Signal zur richtigen Zeit. Weil der redegewandte Würselener ein überzeugter und überzeugender Europäer ist.

In einem Wahljahr, in dem die Europäische Union so heftig wie nie angegriffen wird, vor allem von rechts, aber auch von ganz links, stellt die SPD den denkbar prominentesten Repräsentanten genau dieser Europäischen Union auf, den sie in Deutschland auftreiben konnte. Dazu gehört schon etwas.

Ob diese Entscheidung nun lange geplant oder aus Sigmar Gabriels Not geboren wurde, ist dabei unerheblich. Ob Schulz als EU-Parlamentspräsident immer glücklich agiert hat, auch. Das Ergebnis ist ein glasklares Bekenntnis zum vereinten Europa, wie es keine andere Partei bietet und wie es die Innenpolitiker Sigmar Gabriel oder Olaf Scholz nie hätten verkörpern können.

Das Risiko ist klar: Die AfD versucht schon lange, den Vorzeige-Europäer Schulz als Vorzeige-Bösewicht darzustellen, der Deutschlands endgültigen Untergang in einer „EU-Diktatur“ herbeiführen würde. Es macht Mut, dass die SPD auf diese absurden Angriffe nicht mit einem ängstlichen Ausweichmanöver, sondern mit einem beherzten „jetzt erst recht“ reagiert. So wie vorher bereits CDU und Grüne.

Kein unterwürfiger Blick nach rechts

Mit Schulz ist das Personalangebot der Parteien komplett, die bei der Bundestagswahl links von der AfD antreten. Und siehe da, keine ist eingeknickt vor den Panikmachern. Keine hat extra Hardliner nominiert, um unterwürfig nach rechts zu blinken. Auch die Linke nicht – Sahra Wagenknecht wurde aufgestellt, weil sie nach Meinung vieler Linker einfach die beste Kandidatin ist.

Die Demokraten lassen sich bisher nicht treiben. Furchtlosigkeit: Dieses Gefühl strahlt der angriffslustige Europäer Schulz ebenso aus wie Angela Merkel, die sich weiter stoisch für ihre Flüchtlingspolitik beschimpfen lässt, und der Grüne Cem Özdemir, der am meisten Routine im Beschimpftwerden hat.

Die Startblöcke sind richtig besetzt, nun kommt es darauf an, was die KandidatInnen daraus machen. Natürlich müssen sie Menschen, die frustriert sind oder Abstiegsängste haben, endlich ernster nehmen – aber ohne dabei den Rechten nachzuplappern und die eigenen Werte zu verraten. Das bleibt eine schwierige Aufgabe. Aber immerhin, das Personal dafür ist gut gewählt.

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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9 Kommentare

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  • "Nicht - G u t, es ist wieder kein Linker. Auch ökologisches Interesse ist von Martin Schulz bisher nicht überliefert. Aber bleiben wir realistisch: Man kann bei einer SPD-Kanzlerkandidatur nicht alles haben."

    Aber etwas Soziales hätte ich von einem Sozial Demokraten als Kanzler schon erwartet.

    Seine Vita macht mir grosse Augen:

    16 Jahre im Europäischen Parlament, zuletzt sogar als Präsident. Denk ich an Europa und die Griechen in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht! (nach Heinrich Heine)

    Frau Merkel betreibt postfaktisch eine Marktkonforme Demokratie (s. INSM) und Jürgen Habermas begründet, warum die Griechenland Politik ein Fehler ist: Nicht Banken, sondern Bürger müssen über Europa entscheiden. Dieses sei die beste Staatsform in der das Volk in der Mehrzahl ist . Auch die Demokratie verdanken wir den Griechen (Aristoteles Politik 4. Buch 4. Kapitel).

    Der Bürger ist der Souverän. Er regiert. Dabei ist die Mündigkeit (KANT) der Bürger der Gradmesser einer demokratischen Gesellschaft. Leider wird an der Bildung gespart. Aber laut Goethe sei die beste Regierung die, "Die uns lehrt, uns selber zu regieren." Wir brauchen eine Menschen konforme Demokratie. Viel Er-Volk!

  • Aufmunterndes Schulterklopfen allenthalben; 's wird schon nicht so schlimm werden.

    Die Kandidaten, die Kandidaten jedenfalls, die sind ja nicht so AfD-geneigt. Damit: alles gut.

    Dass die Inhalte und deren Präsentation bereits ins Blau sticht: geschenkt.

     

    Jetzt gilt es nur noch, sie endlich ernster zu nehmen, die frustierten vom Abstieg bedrohten. Und bitte, doch nicht den Rechten nachplappern, sondern schöne wolkige Sonntagsreden, die das Gemüt erhellen, das von Abstiegsangst so bedrückt ist. Von Handeln hat hier keiner was gesagt.

     

    Erinnern wir uns, das Problem von Agenda2010 war die Kommunikation und nicht etwa die Politik. Verarschung und Entmündigung kommt immer gut an. Auch 2017.

  • Oben: ein Schulz-Jubelartikel. Unten: kritische Stimmen und Kopfschütteln.

     

    Symptomatisch für die Zustände in der Linken.

  • Na Servus.

     

    Da bleibt dem ein oder anderen aber - passend -

    Die Printe aussem Dreiländereck -

    Quer im Halse stecken - wa.

    kurz - Das Würselt hier aber ´n bisken sehr arg.

    Ein Armutszeugnis sich schön saufen -

    Sollten Journalisten anderen überlassen.

    kürzer - Nach Ullala - Schullala.

    Mannoman. Frauman muß es mögen -

    Oder eben auch nicht!

  • Nachdem Rudolf "Rotkohl" Scharping 1994 als Kanzlerkandidat kläglich baden ging, weil damals "Politik ohne Bart" (JU-Wahlkampfslogan) angesagt war, gibt es 23 Jahre später erstmals wieder einen bärtigen Kandidaten. Schulz' Bart hat sicherlich nicht hipsterkompatibles Format (aber was nicht ist, kann ja noch werden!), nichtsdestotrotz ist es zweifellos ein Bart und nicht bloß möchtegern-modische Unrasiertheit (Dreitage"bärte" sind so etwas von 1986!), nicht bloß Staatssekretärsstoppeln. Die Zeiten haben sich geändert - Bärte sind heutzutage allgegenwärtig, und das hat nicht viel mit "Islamisierung" zu tun, dafür um so mehr mit der Abkehr weiter Teile der jüngeren Generationen von der metrosexuellen Schaufensterpuppen-Ästhetik der 2000er Jahre. Es kann also durchaus gehofft werden, dass der Bart diesmal einen Sympathiebonus bringt - einen Bonus, den Amtsinhaberin naturgemäß bekommen kann. Bärte an die Macht!

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Die Realitätsferne dieses Artikels macht mir Angst. Wirklich.

     

    Wenn nicht mal selbsterklärte linke Medien zu einer halbwegs vernünftigen politischen Analyse fähig sind, wie soll es dann klappen gegen Brexit, Trump, LePen?

  • Zitat: "Weil der redegewandte Würselener ein überzeugter und überzeugender Europäer ist."

     

    Und damit für mich schon nicht wählbar. Denn bei aller Lobhudelei gehört Schulz zu denen die Europa weniger demokratisch gemacht haben.

  • Schulz steht für TTIP, CETA, Sanktionen gegen Russland und Syrien, Freiräume für Steuerflüchtlinge, Erpressung von Griechenland, Brexit, Erstarken von Nationalisten, Bankenrettung, …, aber bestimmt nicht für eine soziale, friedliche Weltpolitik oder Vermögenssteuer, Transaktionssteuer, fairem Welthandel, …