Kommentar Sparpolitik in Spanien: Unten kommt nichts an

Die spanischen Gewerkschaften protestieren. Zu Recht: Ministerpräsident Rajoy regiert mit viel Arroganz. Das verdankt er auch den Sozialisten.

Menschen laufen auf der Straße und halten ein langes Banner. Andere halten Fahnen

„Zuerst die Menschen und ihre Rechte“: So lautete der Slogan des Protestzugs am Sonntag in Madrid Foto: dpa

Spaniens Gewerkschaften gingen am Sonntag erneut auf die Straße. Nach mehreren Tagen lokaler Mobilisationen demonstrierten Zehntausende in der Hauptstadt Madrid unter dem Motto „Die Menschen und ihre Rechte zuerst!“ für die Rücknahme der Sozialkürzungen und der schmerzhaften Eingriffe in den Kündigungsschutz in den vergangenen Jahren. Die Arbeiterorganisationen wollen den sozialen Dialog. Die konservative Regierung unter dem alten und neuen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy stellt sich taub. Und das, obwohl sie keine Mehrheit mehr im Parlament hat.

Statt auf die Gewerkschaften zuzugehen, beschwört Rajoy die Erholung der Wirtschaft. Die Opfer der letzten Jahre hätten sich gelohnt. Fragt sich nur, für wen. Denn unten kommt von den angeblich positiven Wirtschaftsdaten nichts an. Die Arbeitslosigkeit liegt noch immer über 20 Prozent, die Löhne gehen seit Beginn der Krise ständig zurück. Vieler derer, die in den letzten Monaten Arbeit fanden, haben befristete und Teilzeitverträge, können von ihrem Lohn nicht einmal leben.

Auf der anderen Seite sehen die Spanier dieser Tage erstaunt einem weiteren Kapitel der Krisenbewältigung à la Rajoy und à la EU zu. Nach der Rettung der Banken, die sich bei der Immobilienblase heftig verzockt haben, wird der Staat jetzt auch neun Maut-Autobahnen mit Steuergeldern übernehmen, damit die Baukonzerne und Geldinstitute, denen die unrentablen Straßen gehören, keinen Schaden nehmen. Dafür ist Geld da. Nicht so für Bildung, Gesundheit oder Pflegeversicherung.

Dass Rajoy trotz fehlender Mehrheit weiter mit dieser Arroganz regieren kann, ist nicht zuletzt den Sozialisten zu verdanken. Die PSOE hat Rajoy per Stimmenthaltung an die Regierung verholfen. Sie stimmt seither immer wieder mit den Konservativen, zuletzt bei einem Gesetz über die Obergrenze der Staatsausgaben, das den nächsten Sparhaushalt vorbereitet. Brüssel verlangt einen Einschnitt von fünf Milliarden Euro.

Auf der Madrider Demonstration wollte der PSOE Parteivorstand ganz vorn mitlaufen. Beherzte Gewerkschafter, allen voran aus den Reihen der sozialistischen UGT, verhinderten dies. Sie werfen der PSOE vor, eine versteckte Große Koalition zu führen. Die Gewerkschafter wollen einen Politikwandel statt hinter einer angeblichen Staatsräson versteckten Politik im Interesse der Märkte und Banken. Deutsche Gewerkschafter könnten sich ein Beispiel an ihren spanischen Kollegen nehmen.

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Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.

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