Kommentar Soziales im Koalitionsvertrag: Wieder nichts übrig für die Armen
Für Hartz-IV-Empfänger hat die SPD erneut nichts zu bieten. Kein Wunder bei diesem Personal. Und die Presse interessiert das Thema auch nicht.
E s mag derzeit nicht so wirken, aber eigentlich hat die SPD allen Grund zum Feiern: Niemand redet mehr über Gerhard Schröders Agenda-Politik. Das war vergangene Woche gut zu beobachten. Die Presse sezierte jedes Satzzeichen im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD – ohne sich freilich daran zu stören, dass 6,2 Millionen Menschen darin gar nicht adressiert werden.
Das Thema Hartz IV kommt im Koalitionsvertrag nicht vor. Das brutale Sanktionsregime, die nicht existenzsichernden Sätze, all das interessiert Union und SPD nicht. Da wirkt es fast zynisch, das Regierungsprogramm mit „Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“ zu überschreiben.
Ebenso zynisch wirkt in diesem Zusammenhang der kolportierte Kampf der SPD-Familienministerin Katarina Barley gegen Kinderarmut, der unter anderem durch eine Erhöhung des Kindergelds und des Kinderzuschlags gewonnen werden soll. Beides wird bei Hartz-IV-Empfängern mit deren Regelbetrag verrechnet beziehungsweise nicht gewährt – eine alleinerziehende Mutter in ALG II und deren armutsgefährdete Kinder gehen leer aus.
Nicht einmal die zaghaften Korrekturankündigungen des ehemaligen Kanzlerkandidaten Martin Schulz, die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I zu verlängern und das Schonvermögen für ALG-II-Empfänger zu erhöhen, haben es in das Regierungsprogramm geschafft.
Das alles können die Genossen natürlich der Union in die Schuhe schieben. Dass die SPD das Thema Hartz IV in den Verhandlungen mit CDU und CSU nicht offensiver angegangen hat, verwundert allerdings kaum, wenn man die jüngst bekannt gewordenen Personalentscheidungen der SPD-Spitze betrachtet. Mit Andrea Nahles übernimmt eine ehemalige Arbeitsministerin den Parteivorsitz, die die existenzgefährdenden Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger noch verschärfte.
Der designierte Vizekanzler Olaf Scholz war und ist einer der brennendsten Unterstützer des Schröder’schen Sozialkahlschlags. Mit diesem Personal dürften die Interessen der Agenda-Verlierer in den kommenden dreieinhalb Jahren weiterhin keine Rolle spielen. Aber danach fragt ja ohnehin niemand mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader