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Kommentar SozialdemokratieNotbremsung und Notlösung

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Viele der verbliebenen Anhänger wählten die SPD trotz und nicht wegen Steinmeier. Eine Bundestagswahl ist immer auch eine Abstimmung über die Personen an der Spitze.

S chlimmer geht immer. Wer die SPD am Sonntag an ihrem absoluten Tiefpunkt angekommen sah, könnte sich noch wundern. Selbst die Treuesten der Treuen, die sich diesmal noch einmal dazu durchrangen, SPD zu wählen, werden dies nicht automatisch wieder tun. Schon gar nicht wird die SPD verlorene Stimmen zurückholen, wenn sie einfach weitermacht wie bisher. Eine Partei, die dermaßen eindeutig abgewählt wurde wie die Sozialdemokraten, muss schnell und selbstkritisch reagieren. Das heißt: Sie muss Bereitschaft zu einem echten Neuanfang signalisieren. Inhaltlich und personell. Das ist am Dienstag gelungen. Aber nur halb.

Der Verzicht von Frank-Walter Steinmeier auf den Parteivorsitz ist eine Notbremsung. Hätte die SPD ausgerechnet ihren gescheiterten Spitzenkandidaten zum alleinigen Oppositionsführer ausgerufen, wäre dies einer Verhöhnung des Wählervotums gleichgekommen - und es hätte den weiteren Abstieg programmiert. Steinmeier war bis weit in das linke Lager hinein deutlich unbeliebter als die CDU-Kanzlerin - und sein Wahlergebnis war noch schlechter als die SPD-Umfragewerte, die der gemobbte Kurt Beck einst erreichte.

Es spricht also viel dafür, dass die SPD von vielen der verbliebenen Anhänger trotz und nicht wegen der Person Steinmeier gewählt wurde. Auch inhaltlich kann der geistige Vater der Agenda 2010 nicht den Neuanfang signalisieren, den die SPD jetzt braucht. Steinmeier war ein kühler, nüchterner Regierungspragmatiker ohne Redetalent. Gegen die Lautsprecher der anderen Oppositionsparteien wie Jürgen Trittin, Gregor Gysi oder Oskar Lafontaine wird er sich kaum durchsetzen können. Steinmeiers Wahl zum Fraktionschef ist eine Notlösung für eine kurze Übergangszeit.

Die SPD braucht für ihre Spitzenpositionen im Bundestag und in der Partei Leute, die weniger eng mit der Schröder-Vergangenheit verbunden sind. Die Neuen müssen eine künftige rot-rot-grüne Zusammenarbeit vorbereiten, ohne panisch zu versuchen, die Linkspartei links zu überholen. Er oder sie muss glaubwürdig gegen Merkel/Westerwelle und gegen Lafontaine/Gysi argumentieren können. Wie das geht, hat im Bundestagswahlkampf Sigmar Gabriel vorgemacht. Wie man mit der Linkspartei erfolgreich regieren kann, hat Klaus Wowereit vorgemacht. Der SPD-Neuanfang kann nur gelingen, wenn beide zusammenarbeiten. Das allerdings wäre ein echtes Wunder.

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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8 Kommentare

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  • C
    Christian

    Nachruf auf eine Freundin

     

    Willy hätte ich gewählt, Helmut hat dann meine Stimme bekommen. Das war es dann aber auch.

    Aus meiner Sicht war die SPD seit ihrem Bestehen während nur jeweils recht kurzer Perioden wahre Vertreterin der Interessen ihrer ureigentlichen Klientel. Sie hat sich einfach eine Neue gesucht.

    OK, das können auch andere;) Die ehemaligen Sozialdemokraten haben das jedoch perfektioniert.

    Was seit Schröder lief, war Wählerverprellung in Reinkultur. Die sozialdemokratische Basis war eines sicher nie: geistig minderbemittelt.

     

    Nun präsentiert Steini im Wahlkampf plötzlich sozialdemokratische Themen, die nach dem Rechtsruck der "Sozis" doch von der aus dem hinterlassendem Vakuum von den flugs gebildeten Linken besetzt wurden, gleichzeitig wird eine Koalition mit genau dieser ausgeschlossen. Dummerweise gab es als kleine Dreingabe für das Wahlvieh noch ein paar Belohnungen:

    - Die vehement abgelehnte Mehrwertssteuererhöhung.

    Da konnte der Malocher besser rechnen. 0+2/2=1.

    Da kommt nicht 3 raus. Solange haben wir in der Schule alle aufgepaßt.

    - Agenda 2010. Das ist derart grausam, daß ich den Leser an dieser stelle nicht aufrütteln möchte.

    - Krieg. Das verzeiht der Wähler allen Beteiligten nicht.

    - Abschaffung von Bürger- und Menschenrechten

    - und vieles vieles mehr

     

    Daß es den Stammwähler lieber in die Natur zieht statt ins Wahllokal, kann ich nachvollziehen. Damit hat er den Seinen ordentlich in den Hintern getreten, ganz entgegen anderslautender Meldungen.

     

    Die reagiert auch prompt, wie von ihm erwartet: völlig falsch. Immerhin hat sie es dann doch erstaunlich schnell gemerkt. Allerdings war das "Weiter so!" direkt nach der Wahl schon saudumm, die weiteren Entscheidungen haben dem Nichtwähler dann auch nichts mehr gebracht.

     

    Geliebte alte SPD:

    Gerhard hat mit Steini Dein Grab geschaufelt, nachdem es andere zuvor schon erfolglos versucht haben.

    Den Mist, den ihr in 48 Stunden und 11 (+x) Jahren verbockt habt, könnt ihr mindestens 8 Jahre lang nicht mehr ausbügeln. 8 Jahre mit einem Durchschnittsalter der Mitglieder von weit mehr als 60 Jahren sind eine lange Zeit.

    Gerade hast Du die Beerdigungsfeierlichkeiten organisiert.

     

    Ruhe sanft. Die verbliebenen Parteien werden Deine Hinterbliebenden zu trösten versuchen. Ich werde Dich vermissen.

     

    Der Wertschaffende sicherlich auch nicht und langsam hat er die Nase wohl voll.

  • IB
    I.F. Bergher

    Die SPD als Partei hat sich doch schon lange selbst zerlegt; der angeschlossene Wahlverein wurde jetzt vom Wähler abgeschossen. Schlecht für die Funktionäre; gut für die Demokratie.

  • AB
    Albrecht Buscher

    Lukas Wallraff irrt gewaltig, Steinmeier ist durchaus in der Lage, der SPD zu einer neuen Perspektive zu verhelfen, allerdings in der Tat nicht mit der Linken, sondern - da reibt man sich vieleicht die Augen - mit der FDP. Ein Blick in die Länder zeigt nämlich etwas ganz anderes, dass die Bündnisse Rot-Grün die SPD in die Opposition getrieben haben, die letzte SPD-FDP-Koalition (in Mainz) aber hat zur Alleinregierung der SPD (übrigens zurzeit die einzige absolute Mehrheit überhaupt) geführt. Und die Schnittmengen sind durchaus vorhanden: in der Innen- und Außenpolitik. Das zentrale Problem ist sicherlich, dass die FDP unter Westerwelle immer mehr zu einer neoliberalen Veranstaltung verkommen ist, aber ich bin sehr gespannt, wie harmonisch Schwarz-Gelb tatsächlich wird, bis zur NRW-Wahl sicherlich noch, aber danach ???

  • RK
    Rüdiger Kalupner

    Die Wahrheit der obersten Machtspiele und -Strukturen ist KONKRET, aber in hochkomplexen Gesellschaften leicht zu verhüllen. Was Bernhard Madoff geschafft hat, das schaffen die intelligentesten Machtspieler auch. Und sie haben es in Deutschland genial hingekriegt.

     

    Nur wer nach dem Rumpelstilzchen fragt und sucht, d.h. nach der gewachsenen, trickreichen und fast-geheimen und fast-absoluten Wissensherrschaft in einer Demokratie sucht, der wird es entdeckenn und dann das einfache Herrschaftsgeheimnis sehen - und die Macht-Nr.1-Spitze wird sich nach seiner Entdeckung in seine zwei Teile zerreißen. Die Suche führt nach Erlangen - als Modell für Deutschland.

     

    Erlangen ist ein Modellfall für die von mir geschilderte noch fast-geheime, Siemens-IGM--Clanstruktur in Deutschland, deren jüngstes Opfer die SPD geworden ist. Im Januar 1986 trat der Siemens-IGM-Komplex hier in die stadtgeschichtliche Öffentlichkeit und erpresste die Stadtspitze, d.h. den Radler-und SPD-OB Dr. Hahlweg, um zu verhindern, dass das deutsche Rumpelstilzchen-Herrschaftsgeheimnis in die Öffentlichkeit kommt. Der Siemens-IGM-Komplex übernahm durch seine Leute (Dr. Balleis/Siemens, Frau Niclas/IGM-Vorstandsverwaltung Frankfurt/M) die Große-Koalitions-Macht oberhalb der Parteien und der Stadtverwaltung.

     

    In Erlangen vollzog sich nur vor aller Augen, was auf Deutschland-Ebene schon seit Jahrzehnten geheim-KONKRETE Wahrheit war und immernoch ist. Wer den heutigen FAZ-Kommentar 'Wozu SPD?' liest, der weiß, dass Herr Stefan Dietrich genau diese SPD-IGM-Rolle im Vormachtgefüge des Kapital- und Wachstumszwang-Regimes beschreibt und sogleich wieder verschleiert. http://www.faz.net/s/RubE60152C79A424CDD91E9268CF021D4A0/Doc~E9C59FC4DF1404B74BF56F4A529475A47~ATpl~Ecommon~Sspezial.html

     

    Die taz-Redaktion machte sich verdient, wenn sie am Erlangener Fall zeigte, wie das Herrschafts-Modell für den deutschen Macht-Nr.1-Komplex ausgestattet ist. Aktueller und aufklärerischer kann Presse nicht sein.

  • T
    TLemcke

    "Wenn diese einfachen macht- und wirtschaftssteuerungs-systemischen Zusammenhänge und die Geschichte der Siemens-AG-Geschäftsführung, die zur ÖKO-Reform-BLOCKADE der SPD und ihrer derzeitigen Krise führten, öffentlich wird, dann wird nicht nur der IGM-Vorstand um die Existenz der IGMetall kämpfen müssen." Sind diese Herrschaften auch für schlechtes Wetter verantwortlich, Herr Kalupner?

     

    Ach wie ist doch so schön, daß Leute wie Sie auch in den nächsten vier Jahren vor der gated community toben und rein gar nicht bewirken mit ihrem Geheule.

  • RK
    Rüdiger Kalupner

    Die SPD und der Rest der Interessenvertretungen der Arbeitnehmer werden nach dem Notausstieg suchen, um sich zu retten - wenn die ganze Dramatik der in den letzten 23 Jahren verpassten Reformchancen der SPD in die Öffentlichkeit kommen sollte. Was war los?

     

    Unter dem Druck der IGM-Vorstände hat sich die SPD seit 1986 der öko-sozialen Umfinanzierungs-/Steuersystemänderung und der industriellen Umsteuerungsoption auf einen nachhaltigen Entwicklungspfad jenseits der Verschwendungs-Ökonomie verweigert. Der SPD schaffte den evolutionslogische Exodus aus dem 2&-Wachstumszwang- und Ressourcenverschwendungs-Regime der KAPITALSTOCKMAXIMIERER nicht - obwohl die evolutionsprozess-eigene Projektlösung allen Spitzen bekannt war. Dadurch konnten sich die GRÜNEN etablieren.

     

    Im Jahr 1998 gab es unter dem Finanzminister Oskar Lafontaine den letzten, systemischen Versuch einer öko-sozialen Umfinanzierung der staatlichen und sozialen Leistungen. Das reichte nicht, um die Finanzierung der Sozialsysteme von dem Kostenfaktor Arbeit abzunabeln, d.h. auf Kosten der Kapitalseite die Sozialsysteme zu reformieren. Das führte unter Gerhard Schröder/Franz Müntefering zur Agenda 2010 und zur WASG/LINKE dem zweiten Wähler-, Zukunftsperspektiven und Klientelverlust.

     

    Jetzt wird der SPD die Rechnung für 23 Jahre ökologische und soziale Umsteuerungsblockade präsentiert. Jetzt zahlt sie die Rechung dafür, dass sie sich den Machtinteressen der IGM-Vorstände gebeugt hat. Für systemisch denkende Analytiker ist einsichtig, dass diese IGM-Institution nichts anderes war und ist als die Interessenvertretung der deutschen HIGHTECH-Kapitalstockmaximierer und Energie- und Ressourcenverschwender auf der Seite der Arbeitnehmer-Interessen. Der IGMetall-Vorstand stellte der Wachstumszwang- und Kapitalseite die Massenbasis zur Verfügung. Die IGM-Mitglieder waren die Massenbasis des Kapitals. Über die IGM-Vorstände hatte das 2%-Wachstumszwang-Regime der KAPITALSTOCKMAXIMIERER, deren Geschäftsführung bei der SIEMENS AG lag, die SPD voll im Sack.

     

    Wenn diese einfachen macht- und wirtschaftssteuerungs-systemischen Zusammenhänge und die Geschichte der Siemens-AG-Geschäftsführung, die zur ÖKO-Reform-BLOCKADE der SPD und ihrer derzeitigen Krise führten, öffentlich wird, dann wird nicht nur der IGM-Vorstand um die Existenz der IGMetall kämpfen müssen.

  • P
    peter
  • AS
    Artur Schaefer

    . . .der oder die neue SPD CefIn muss die Option fuer rot rot gruene Zusammenarbseit eroefnnen ohne zu versuchen, die Linkspartei links zu ueberholen.

    Potzblitz aber auch, das haette noch nichtmal Kurtchen Beck gewagt(Wenn sie den blos noch haetten!): die Linke links zu ueberholen.

    Ist das ueberhaupt erlaubt?

    Und solange gruen die Kriegspartei ist wird es nach linksrot nur eine Kluft geben, das hat Oskar (Wenn sie den blos noch haetten)genau gesagt.

    Also, was soll dieser Kommentar?