Machtkampf nach Wahl-Debakel: Tabula Rasa bei der SPD

Der gescheiterte Kanzlerkandidat Steinmeier wird SPD-Fraktionschef, aber kein Parteichef. SPD-Vize Steinbrück und Generalsekretär Heil treten ab.

Wird Fraktionschef, aber nicht Parteichef: Frank-Walter Steinmeier. Bild: dpa

In der SPD ist am Tag Eins nach dem Wahldesaster der Korken aus der Flasche geflogen. Der Druck war zu groß geworden. All der angestaute Unmut über Hartz IV, die Rente mit 67, die Machtworte, die Wahlniederlagen brach sich am Montag im Willy-Brandt-Haus Bahn. Das erste Ergebnis dieses Drucks war: Franz Münteferings holprige Ankündigung, als Parteichef zurückzutreten. Müntefering glaubte da noch, Frank-Walter Steinmeier als seinen Nachfolger inthronisieren zu können. Das war eine Fehleinschätzung. Ein Parteichef, der ein Desaster verantwortet und gerade indirekt seinen Rücktritt angekündigt hat, kann gar nichts mehr. Es ist seltsam, dass dem Taktiker Müntefering ein solcher Irrtum unterlief. Und bezeichnend für die fiebrige Stimmung in der SPD. In NRW, Müntes Landesverband, schweigt man noch zu dem Auftritt des Noch-SPD-Chefs. "Ich betreibe keine politische Leichenfledderei", sagt ein Linker aus dem Landesvorstand.

Was folgte, war ein Schlag auf den Gong aus der Berliner SPD. Klaus Wowereit, der ewige Kandidat im Hintergrund, verkündete am Montag, dass die Rente mit 67 "keinem Bürger zu vermitteln" war. Die SPD könne nicht mit "Zahlen und Statistiken Politik betreiben". Sie brauche "Emotion". Das war ein Doppelangriff gegen Müntefering, der die Rente mit 67 durchgesetzt hatte und den Technokraten Steinmeier, der sich eher auf Zahlen als auf Gefühle versteht.

Für Wowereit, der sich aus der Bundespolitik bislang meist demonstrativ herausgehalten hatte, waren das ungewohnte Töne. Sie klangen wie ein Bewerbungsschreiben für den Job des SPD-Chefs. Wowereits Landesverband veröffentlichte am Dienstag morgen eine gepfefferte Generalabrechnung mit Steinmeier. Grund für das Wahldesaster, seien "die Reformen auf dem Arbeitsmarkt und die Auslandseinsätze der Bundeswehr" gewesen. Die Agenda 2010 müsse endlich "selbstkritisch analysiert" werden. Eine Neufang gebe es für die SPD nur ohne die Agenda-Politiker Steinmeier, Steinbrück und Müntefering. Das war eine Kriegserklärung an Steinmeier. Steinmeier indes hatte im Willy Brandt Haus angedeutet, alles hinzuschmeißen, wenn die Agenda 2010 zurückgedreht wird. Die Front war klar: Hier Steinmeier für die Agenda-SPD, dort Wowereit, der sich deutlich wie nie als Sprecher des linken Flügels profilierte. Rechts gegen links. Der monatelang stillgegelegte Flügelstreit brach explosionsartig aus. Oder doch nicht?

So ganz eindeutig waren Wowereits Botschaften nicht. Denn er forderte nicht wirklich die Rücknahme der Rente mit 67 oder gar der Agenda 2010. Das sind Nuancen, aber wichtige. Auch ob er wirklich SPD-Chef werden will, ließ er offen. Christain Gaebler, parlamentarischer Geschäftsführer der Berliner SPD, sagte am Montag, SPD-Chef sei kein Job der "vergnügungssteuerpflichtig ist". Die Botschaft: Wowereit will nur verhindern, dass Steinmeier Fraktions- und Parteichef wird - und damit Kanzlerkandidat 2013. Dies, so auch die Einschätzung des Netzwerkers Hans-Peter Bartels, wäre eine Art "Vorentscheidung, dass Steinmeier 2013 SPD-Kanzlerkandidat wird." Das aber sei derzeit "nicht unser Problem."

Am Dienstag reifte auch im Steinmeier-Lager die Erkenntnis, dass der Architekt der Agenda 2010 nicht beides, nicht Fraktions- und Parteichef wird. Denn die Botschaft der gesamten Partei war eindeutig: Rechte wie Johannes Kahrs, moderate Linke wie Karl Lauterbach forderten, Partei- und Fraktionvorsitz zu trennen. Und keiner machte sich für Steinmeier als SPD-Chef stark. Sogar die Netzwerker in der Fraktion, die treu zu Steinmeier stehen, ließen duchblicken, dass er nur Fraktionschef wird, wenn er auf den Posten des Parteichefs verzichtet.

"Alle zwei Minuten eine neue Nachricht - man blickt kaum mehr durch", stöhnte am Dienstag ein Mitarbeiter im Willy Brandt Haus. Ob Wowereits Angriff ernstgemeint war, war unklar. Organisierte sich da gerade ein Putsch, der auf die gesamte Agenda-Führung zielte? Oder war diese Attacke eine Fantasie?

Auch im Westen schaut man irritiert auf die Kampfarena in Berlin. "Die SPD muss an einem Strang ziehen, sonst wird es düster", sagt der scheidende, Generalsekretär Michael Groschek. Im Mai sind Landtagswahlen. Bei der Bundestagswahl ist die SPD in ihrem früheren Stammland auf 28,5 Prozent abgestürzt. Über den Zwist in Berlin, redet man in Düsseldorf "bestenfalls auf dem Flur", so ein Beisitzer des Landesvorstands. Denn jede Personaldiskussion würde die Zerrissenheit der NRW-Genossen dokumentieren: Linke Basisvertreter wollen Wowereit als Parteichef - SPD-Rechte das auf keinen Fall.

Doch ein linker Durchmarsch ist ohnehin unmöglich. Die neue Bundesfraktion steht etwas weiter links als früher - doch die Netzwerker und der Seeheimer Kreis verfügen noch immer über eine solide Mehrheit.

Ab Dienstagmittag klärte sich die Lage. Es gab drei Kandidaten, die ernsthaft für den SPD-Chefposten gehandelt wurden: Steinmeier, Wowereit und Sigmar Gabriel. Andrea Nahles gilt als noch zu jung. So lief alles auf den zu, der sich bisher demonstrative Zurückhaltung geübt hatte - eine Eigenschaft, die man ihm sonst eher nicht nachsagt: Sigmar Gabriel. Das Steinmeier-Lager, das Wowereit irrtümlich für einen Linken hält, will lieber Gabriel.

Dienstagnachmittag klärte sich im Bundestag, wie das neue SPD Personal aussieht. Steinmeier verzichtet auf den Job des Parteichefs, wird aber Fraktionschef. Peer Steinbrück zieht sich aus der ersten Reihe zurück. Nach dieser Eklärung stand er lange auf der Reichstagsterrasse, rauchte und plauderte entspannt mit Brigitte Zypries. Zwei Mächtige von gestern. Auch der Netzwerker Hubertus Heil erklärte, dass er nicht mehr Generalsekretär sein wird. Das ist in der Flügellogik zwingend. Neben die Rechten Steinmeier und Gabriel muss eine Linke Generalsekretärin werden: Andrea Nahles.

Hundertprozentig ist diese neue Machtarchittektur noch nicht. Nichts ist ganz sicher bei der SPD, die nach dem Beben noch immer zu zittern scheint. Wenn es so kommt, hat sie sich schnell und rational neu formiert. Ein Mitarbeiter aus dem Willy-Brandt-Haus mag das kaum glauben. "Das Chaos", sagt er, "kommt noch."

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