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Kommentar Sinns JudenvergleichDer Schuldabwehr-Reflex

Ines Kappert
Kommentar von Ines Kappert

Der Judenvergleich von Ifo-Präsident Sinn zeigt jene Abgehobenheit, die zur Abkoppelung der Finanzwelt von der Realwirtschaft führte. Sinns Entschuldigung ändert daran nichts.

M anager, die für die Finanzkrise verantwortlich sind, mit während der Nazi-Zeit verfolgten Juden zu vergleichen, das ist nicht nur blanker Unfug - es beschädigt den eigenen Ruf. Warum also tätigt Hans-Werner Sinn einen solchen Vergleich? Jeder weiß, dass man in der deutschen Öffentlichkeit viel Unsinn reden kann. Aber haltlose Judenvergleiche werden nicht goutiert - in dieser Frage sind die Deutschen mittlerweile streng.

Bild: taz

Ines Kappert ist Redakteurin im taz-Meinungsressort.

Die meisten Holocaust-Verharmloser mussten nach einem solchen Fauxpas ihr Amt räumen. Eine beredte Ausnahme allerdings bildet Roland Koch. Sein 2002 im Hessischen Landestag lancierter Anwurf gegen Ver.di-Chef Frank Bsirske ging in eine ähnliche Richtung wie jetzt die Äußerung Sinns - doch er behielt seinen Job. Bsirskes Ansinnen, Deutschlands Reiche beim Namen zu nennen, um so für die Vermögensteuer zu werben, verglich Koch damals mit einer "neuen Form von Stern an der Brust".

Für die deutsche Öffentlichkeit firmieren "die Juden" heute als Sinnbild des moralisch einwandfreien Opfers. Wer sich mit ihnen assoziiert, der versucht, sich selbst maximal moralisch zu entlasten und jede Kritik von vornherein als mörderische Hetze zu diffamieren. Fakten werden dem Bedürfnis nach Schuldabwehr untergeordnet.

Und noch etwas zeigt die Äußerung von Sinn. Im Rahmen einer antisemitischen Logik hat "der Jude" das Finanzkapital unterwandert: Er ist ein Wucherer, der seine Gläubiger bluten lässt. Er hat die Not der Deutschen zu verantworten. Sinn nun vermischt diese antisemitische Semantik mit dem liberalen Konsens, dass Juden auf nie dagewesene Weise von der überwältigenden Mehrheit der Deutschen zu Opfern gemacht wurden. Das illustre Resultat: Die allerorts als gierig beschriebenen Manager sind im Grunde Opfer eines flächendeckenden Hasses gegen die Elite. Ergo: Wehret den Anfängen! Sinns Geschichts- und Realitätsklitterung ist Ausdruck einer berückenden Anmaßung. Aus ihr spricht jene Arroganz und Abgehobenheit, die wesentlichen Anteil an der desaströsen Abkoppelung der Finanzwelt von der Realwirtschaft haben. Seine Entschuldigung ändert daran nichts: Sie gehört zum Ritual.

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Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.
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10 Kommentare

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  • S
    StS

    Zitat Kappert: "Das illustre Resultat: Die allerorts als gierig beschriebenen Manager sind im Grunde Opfer eines flächendeckenden Hasses gegen die Elite."

     

    Nennen Sie es Hass, Verachtung, Geringschätzung: Genau dies ist der Tenor der aktuellen gesellschaftlichen Debatte, von den Äußerungen eines Schauspielers, den eine autoritär ausgerichtet Partei für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren läßt, bis zu den recht unverblümten Andeutungen von Gewaltbereitschaft in diversen Diskussionsforen, auch dem der TAZ.

    Den empirischen Sachverhalt hat Sinn also zutreffend identifiziert. Ob er ihn auch entsprechend charakterisiert hat? Ich denke schon, denn so wie die Juden seit Jahrhunderten der Sündenbock für alle möglichen gesellschaftlichen Entwicklungen waren, so sind "Manager" und die als ihre Erfüllungsgehilfen diskreditierten Politiker das ewige Feindbild des aufrechten Linken.

     

    Zitat Kappert: "Seine Entschuldigung ändert daran nichts: Sie gehört zum Ritual."

     

    Richtig beobachtet. Das Ritual heißt übrigens "Kuschen vor dem Mainstream" und wird hierzulande viel zu häufig mit Demokratie verwechselt.

  • A
    anke

    Sinn ist weiter nichts als einer von unzähligen Trittbrettfahrern. Warum man dem Mann und seinen irren Vergleichen überhaupt ein Podium gibt, ist mir ein Rätsel. Das heißt - eigentlich nicht. Im Grunde weiß ich, dass wir da, wo wir heute sind, nicht wären, würden nicht so viele von uns so oft auf diversen Trittbrettern mitfahren und sich zum Selbstschutz einreden, das sei nicht nur üblich sondern auch gut. Irgendwie macht das schon alles einen Sinn, nicht wahr?

  • H
    hto

    Zitat Ines Kappert: "Warum also tätigt Hans-Werner Sinn einen solchen Vergleich?"

     

    Vergleich???

     

    Antwort: "Wirtschaft ist Glaubenssache", die auf der Dummheit / der gebildeten Suppenkaspermentalität ... - und wenn da einer kommt, der die Menschheit ohne Steuern usw. zu einer eindeutigen Wahrheit verändern möchte dann glaubt doch kaum noch einer, bzw. der Glaube wird sehr schnell wieder in die (system-)rationale / zeitgeistliche Sündenbocksuche ...!?

  • V
    vic

    Menschen wie Sinn oder Koch sind nicht nur gierig (Sinn) und skrupellos (Sinn und Koch), sie sind auch noch dumm.

  • GE
    g. emiks

    fehlt nur noch, daß ifo-präsident sinn

    ein mahnmal für gescholtene bankmanager

    fordert

  • DW
    Die Wahrheit

    Da hat die TAZ Redaktion ja mal wieder das geballte historische Wissen ausgepackt. Nun wissen alle Unwissenden, dass der Holocaust schon 1929 im vollen Gange war. Anders kann man sonst die Bezeichnung Holocaust Verharmloser nicht erklären.

  • JL
    Jürgen L.

    Ich denke, die oft gebrauchte Floskel “Sinn und Verstand” darf nun nur noch getrennt voneinander verwendet werden.

     

    Unglaublich, was da überall auf den Chafsesseln im Land residiert...

  • M
    Markus

    Sehr geehrte Frau Kappert,

     

    ihr Artikel fußt auf der Annahme, dass die Verantwortlichkeit bzw. "Schuld" der jetzt Angeklagten stimmt. Unter diesem Vorzeichen hätten Sie natürlich recht. Herr Sinn hätte die 1929 erfolgte pauschale Schuldzuschreibung für wirtschaftliche Probleme an eine Bevölkerungsgruppe, die nicht über ihre Handlungen, sondern ihre Religionszugehörigkeit, mit dem völlig gerechtfertigten Verlangen, Verantwortliche an einer Krise zur Verantwortung zu ziehen, verglichen.

     

    Nun stellen Sie sich doch einmal denn Fall vor, Herr Sinn hätte insofern recht, als dass die Schuld für das Finanzdebakel nicht in den Zimmern von Bankern zu suchen ist. Und dann gucken Sie sich ein wenig im Internet um und lesen mal ein paar Leserbeiträge (unter anderem auf Welt.de) zum Thema Finanzkrise, in denen weite Bevöllkerungsschichten ganz unverholen Menschen auf Grund einer Berufszugehörigkeit Dinge wünschen, die von "lebenslänglich Wegsperren" bis "an die Wand stellen" reichen. Von differenzierter Verantwortlichkeitssuche keine Rede. Und dann erklären Sie mir den tiefgreifenden Unterschied, jemanden wegen seiner Religionszugehörigkeit als Schuldigen zu brandmarken zu denselben wegen seines Berufes als Schuldigen auszumachen. Ich kann den auf Anhieb leider nicht erkennen.

     

    Und zur Frage der Schuldigkeit an der aktuellen Krise: Es ist ja mitunter in Deutschland Mode, dass jeder, der Politikwissenschaften studiert hat, sich zum Experten für Volkswirtschaft erklärt. Ich kann Ihnen nur so viel Informationen mit auf den Weg geben: Bereits 2004 hat Claus Vogt vorhergesagt, dass etwa im Jahre 2007 auf Grund einer völlig verfehlten Währungspolitik des amerikanischen Staates (der weder Banker, noch Teilnehmer am freien Markt, sondern ein Staat ist) und der FED ein massiver Einbruch auf dem amerikanischen Immobilienmarkt die Welt in eine Finanzkrise mit anschließender Weltrezession stürzen wird. Die Grundlage seiner Vorhersage war nicht das Verhalten von "Bankern", sondern eine expansive Geldpolitik des Staates.

     

    Wenn Sie nach Verantwortlichen suchen wollen, gebe ich Ihnen einen Tip: Die Leute, die sich heute bemühen keinen Zweifel an der Schuld der Banker aufkommen zu lassen, sind die selben, die 2001 eine massive Geldexpansion befürwortet haben. Ob die wohl ein gutes Interesse daran haben, dass man sich schnell auf Schuldige einigt?

  • M
    michaelbolz

    Die Analyse und den Kommentar finde ich schlüssig - doch bleibt der Zweifel, wie Sinn es letztendlich wirklich gemeint hat. In seiner Entschuldigung beruft er sich auf seine Freundschaften zu jüdischen Kollegen weltweit. Hat er es also wirklich so gemeint? Natürlich: Rhetorik, Ausreden, gängige Ersatzsprüche, Radflickerei. Ein Fünckchen Aufrichtigkeit?

    Eine Satzanalyse seines Zitates ergibt, dass er im Grunde - und, im Gegensatz zu ihrer Analyse - sehr oberflächlich auf eine Gemeinsamkeit kommt, deren Vergleichsmöglichkeit der von Äpfel und Birnen ähnelt. Er sagt, es ist beides Obst, und das ist nicht unwahr. Sie schauen in ihrem Artikel genauer nach, worüber Sie sprechen und würden einen solchen Vergleich aus nachvollziehbaren Gründen nicht wagen.

    Was Sinn insofern unterstellt werden kann, ist in jedem Fall Oberflächlichkeit eine gewisse absurde und arrogante Dreistigkeit - wie Sie es richtig und polemisch zugleich darstellen. Ob die der Elite ausschließlich eigen, wage ich zu bezweifeln, dass scheint Ihr Ritual.

    Sinn macht Beides nicht.

  • AS
    andreas schrott

    Hans-Werner Sinn fällt ja schon seit Jahren des öfteren mit sprachlichen Aussetzern auf, besonders gegen Arbeitslose und Geringverdiener. Mit dem Juden-Vergleich hat er wieder einmal bewiesen, wie realitätsfremd ein Entscheidungsträger anscheinend sein darf. Wobei, wenn man genau hinhört fällt da noch etwas auf, wenn er von einem "anonymen Systemfehler" spricht. Bedeutet das, er zweifelt am kapitalistischen Wertesystem?

    Naja, jedenfalls zeigt dieser Fall auch, daß man nicht nur als Baden-Württembergischer Ministerpräsident, völlig ohne Konsequenzen sagen kann was man will, solange man sich danach dafür entschuldigt.