Kommentar Sigmar Gabriels USA-Besuch: Harmonie, die trügt
Differenzen? Pah! Bundesaußenminister Gabriel gibt sich bei seiner Washington-Reise harmonisch – das ist jedoch kein Grund zur Freude.
H atte Sigmar Gabriel ernsthaft mit Gegenwind gerechnet? Auf der Pressekonferenz nach seinem ersten Treffen mit US-Außenminister Rex Tillerson und dem US-Vizepräsidenten Mike Pence am Donnerstag in Washington zeigte sich Gabriel zufrieden. Bei den Themen Migration, Europa, beim Ukraine-Konflikt und der Haltung zu Russland gebe es zwar Differenzen mit Donald Trump, davon hätte er in seinen Gesprächen mit den beiden aber nichts gemerkt.
Natürlich weiß auch Gabriel, dass seine Reise nur einem Abtasten galt. Er selbst ist erst seit einigen Tagen Außenminister, Tillerson hatte gar seinen ersten Arbeitstag im neuen Amt – Umzugskartons säumten die Flure in seinem Ministerium. „Wir halten an der transatlantischen Zusammenarbeit fest und kommen mit ausgestreckter Hand“, hatte Gabriel, schon geübt im diplomatendeutsch, im Vorfeld verkündet. Jedoch: Auch nach den Treffen greift die Hand in Washington vorerst ins Leere.
Einige der Umzugskartons gehörten nämlich einer Reihe der erfahrensten US-DiplomatInnen, die nach Trumps Amtsantritt rasch ihre Jobs aufgaben. Die Kündigungswelle gilt als größter Verlust an institutionellem Gedächtnis in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Die erste Aufgabe des neuen Außenministers Tillerson ist es also, seine Behörde wieder arbeitsfähig zu machen.
Tillerson selbst ist zum ersten Mal in einem hohen politischen Amt. Internationale Erfahrung konnte er zwar als Ex-Chef eines Ölkonzerns sammeln, doch Diplomatie ist Neuland für ihn. Der zeitgleiche Aufstieg des Chefstrategen Stephen Bannon und des Nationalen Sicherheitsberaters und Ex-Generals Michael Flynn in Trumps engeren Kreis wirft eine keineswegs banale Frage auf: Wie wichtig ist dem Präsidenten sein Außenminister und dessen Ministerium überhaupt?
Es hat den Anschein, als wolle Trump außenpolitische Entscheidungen in einem möglichst kleinen Kreis fällen. Grundrechte, internationale Gepflogenheiten und diplomatische Konventionen – all das ist für ihn höchstens sekundär, denn sein Slogan ist: „America First“.
Genug Baustellen der internationalen Zusammenarbeit und somit auch Raum für Diplomatie gäbe es aber, nicht zuletzt bei der Nato oder der Frage nach der Rolle der Europäischen Union. In Bezug auf das Schicksal der EU hatte Trump seine Gleichgültigkeit deutlich gemacht – sie sei ihm „ziemlich egal“. Pence und Tillerson hätten jedoch „ein großes Interesse an der Stärkung Europas“, sagte Gabriel. Na dann. Der Gegenwind aus Washington wird noch früh genug kommen. Fraglich ist jedoch, von wo.
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