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Kommentar Sexuelle GewaltJenseits des Spektakels

Heide Oestreich
Kommentar von Heide Oestreich

Das Problem bei Vergewaltigungen ist nicht die Frage, ob sie stattgefunden haben, sondern ob es zu einer Verurteilung kommt.

Hier wird ein Vergewaltigungsfall verhandelt. Ausgang unklar. Bild: dpa

E in Schleier lüftet sich. Der Schleier über den Fakten über Vergewaltigungen in Deutschland. Denn die öffentliche Debatte wird bisher vor allem vom Spektakel beherrscht. Die Spektakel heißen „Kachelmann“ oder „Strauss-Kahn“. Der Plot: Wer ist das Opfer? Wer lügt? Falschbezichtigung und Tat gelten als gleich wahrscheinlich, Mann und Frau in einer ähnlichen Lage.

Hinter der Medienkulisse aber sind die Verhältnisse anders. Im Schnitt haben 13 Prozent aller Frauen in Deutschland sexuelle Gewalt erlebt, wie das Familienministerium erhoben hat. Knapp die Hälfte von ihnen hat nie mit jemandem darüber gesprochen. Nur knapp fünf Prozent zeigten die Vergewaltigung überhaupt an. Das Hauptproblem bei Vergewaltigungen ist also nicht die Frage, ob sie stattgefunden haben, sondern ob sie geahndet werden.

Von diesem Miniprozentsatz führen wiederum im Schnitt nur 8,4 Prozent zu einer Verurteilung des Täters. Der „Mangel an Beweisen“ ergibt oft einen Freispruch, wie im Fall Kachelmann. Aber die Begründung ist in mindestens der Hälfte der Fälle nicht etwa, dass man nicht weiß, ob die Frau den Mann zu Recht beschuldigt.

Eine Fallsammlung der Frauennotrufe zeigt vielmehr, dass die Tat für das Gericht oft zweifellos stattfand, aber vom Strafrecht nicht erfasst wird: Ist eine Frau im Schock über die Gewalttat erstarrt, dann kann ein Täter laut deutschen Gerichten leider nicht erkennen, ob sie Sex wollte oder nicht. Dasselbe gilt, wenn sie lediglich „Nein“ sagt oder weint. Das muss man sich nur einmal bildlich vorstellen: Ein Mann kann sich eine Frau nehmen, es sei denn, sie prügelt sich mit ihm.

Dass das Justizministerium dies erst jetzt ändern will, hat auch damit zu tun, dass die Medien sich auf Schauspiele à la Kachelmann kaprizieren – und sie nur selten dazu nutzen, über die Realität dahinter aufzuklären.

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Heide Oestreich
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.
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3 Kommentare

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  • http://www.djb.de/Kom/K3/st14-07/ nach lesen des Links wird einiges klarer. Die Medien scheinen nur unfähig, dass richtig wieder zu geben.
  • Der Artikel verzerrt wohl bewusst Fakten, um die eigene Meinung zu begründen, dass Gesetze verschärft werden müssten (worüber man ja durchaus reden kann).

    Es ist aber einfach falsch, wenn behauptet wird, dass die Begründung in etwa der Hälfte der Fälle von Freisprüchen laute, dass "die Tat" zweifellos stattgefunden habe, aber vom Strafrecht nicht erfasst werde. Richtig ist vielmehr, dass mindestens 95% aller Freisprüche bei Anklagen wegen Vergewaltung darauf beruhen, dass nicht sicher feststeht, ob einverständlicher Sex vorlag oder nicht oder ob es überhaupt zum Sex gekommen ist - meist weil Aussage gegen Aussage steht. Es geht also allenfalls um 5%, wo klar ist, dass es kein Einverständnis gab und dass es zum Sex gekommen ist, aber problematisch ist, wie sich die Frau verhalten hat und ob deshalb die Voraussetzungen von § 177 StGB vorliegen. Meist liegen die Probleme dann auch bei dem Beweis des Vorsatzes, weil dann teils schwer zu widerlegen ist, dass der Täter von einem Einverständnis ausgegangen sei, wenn die Reaktion der Frau nicht eindeutig war. Es ist ja durchaus diskussionswürdig, ob insoweit das Gesetz geändert werden sollte, so dass es für eine sexuelle Nötigung nicht erforderlich ist, dass durch Gewalt, Drohung oder die Ausnutzung einer schutzlosen Lage der Sex ermöglicht wird, sondern dass schon das fehlende Einverständnis reicht, bzw. es könnte ergänzend eine solche Tat unter Strafe gestellt werden.

     

    Wenn die "Fallsammlung der Frauennotrufe" aber behaupten sollte, dass es bei dieser "Lücke" um 50% der Freisprüche gehe, ist das wohl eine tendenziöse, nach der eigenen Meinung manipulierte Zusammenstellung, um die politische Forderung nach einer Verschärfung der Gesetze zu untermauern, hat aber mit der Realität vor Gericht nichts zu tun.

  • Was angeblich "hinter den Kulissen" vorgeht ist solange irrelevant, wie sich niemand herbeiläßt gerichtsfeste Beweismöglichkeiten zu definieren bzw. zu schaffen.

     

    Auf Hypothesen kann sich kein rechtsstaatliches Urteil gründen.

     

    Das Problem liegt im Beweis, konstruktive Vorschläge werden dabei sicher händeringend gesucht.