Kommentar Sexuelle Gewalt in der Kirche: Bedauern reicht nicht

Die katholische Kirche will ernsthafte Lehren aus der Missbrauchsstudie ziehen. Dann muss sie endlich auch Täternamen öffentlich machen.

Papst Franziskus in Weiß predigt an einem Stehpult

Der Papst entschuldigte sich bei den Opfern von sexueller Gewalt – mehr ist bislang nicht passiert Foto: dpa

Die katholische Kirche hat ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn es um die Aufarbeitung sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen geht. Bislang wurde man den Verdacht nicht los, dass sie sich mehr oder weniger sträubt, die seit 2010 öffentlich gewordenen massiven Vorfälle ernsthaft aufzuarbeiten. Diesem Eindruck versuchen die Kleriker nun mit einer groß angelegten Studie entgegenzuwirken, die die Strukturen eines missbrauchsfördernden Systems offenlegen soll.

Die Studie, die am Dienstag in Fulda vorgestellt wurde, ist ein erster Schritt. Auch wenn das Projekt Mängel hat, die die ForscherInnen selbst benannten. So bekamen sie keinen direkten Zugang zu den Originalakten und waren auf freiwillige Mitarbeit der Bistümer angewiesen. Von diesen hat jedoch nur ein Drittel seine Archive geöffnet. Die Befunde, die die ForscherInnen aus kirchlichen Personalakten, Strafakten und Interviews mit Betroffenen ziehen, zeichnen daher nur ein unvollständiges Bild der Gewalttaten. Die Dunkelziffer liegt um ein Vielfaches höher, da sind sich die ExpertInnen einig, sie sprechen bei ihren Ergebnissen von „der Spitze eines Eisberges“.

Bislang blieben Reaktionen von Kirchenvertretern bis hinauf zum Papst nach solch beschämenden Enthüllungen meist auf der Bekenntnisebene stecken: Die Kleriker missbilligen und verurteilen sexuelle Gewalt in den eigenen Reihen. Genau das kostet die katholische Kirche Glaubwürdigkeit. Das scheint sie – so hofft man – mittlerweile verstanden zu haben.

Am Dienstag zumindest sagte Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Bischofskonferenz: „Es geht hier nicht um Rettung einer Institution.“ Ein Satz, den man so von einem hohen Würdenträger noch nie gehört hatte.Will die katholische Kirche ernsthaft das System von sexueller und seelischer Gewalt an Minderjährigen offenlegen und so weit es geht beseitigen, kommt sie wohl nicht drumherum, auch Namen zu nennen. Obwohl Marx im Hinblick auf die Familien der Beschuldigten genau davor warnt.

Wie Kirchenvertreter auf die beschämenden Enthüllungen reagierten, bleibt auf der Bekenntnisebene stecken

Täternamen zu veröffentlichen tut weh, Täternamen dürften die Glaubensinstitution in ihren Grundfesten erschüttern. Aber will die katholische Kirche jemals wieder glaubwürdig sein und das Vertrauen in die Sicherheit von Schutzbefohlenen zurückerlangen, sollte sie diesen Schritt nicht scheuen. Und im nächsten Schritt die Täter entlassen und nicht – wie mitunter geschehen – versetzen und befördern.

Nur wenn Täternamen bekannt sind, wird sich tatsächlich etwas ändern. Es ist wie mit der #MeToo-Kampagne: Das System sexueller Gewalt an Frauen in nahezu allen Branchen ist seit Langem bekannt. Doch solange keine Namen fielen, wurde den Opfern kaum Glauben geschenkt, die Täter durften sich sicher fühlen, verfolgt wurden sie nur selten. Das änderte sich erst, als die Weinsteins und Wedels tatsächlich abtreten mussten. Es geht dabei keineswegs um willkürliches und rachsüchtiges Anprangern. Es geht um die körperliche und seelische Unversehrtheit von Minderjährigen. Und das ist ein Menschenrecht – auch in der Kirche.

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Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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