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Kommentar SPD in der GrokoWeck den Dobrindt in dir!

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Will die SPD überleben, muss sie von der CSU lernen. Sie muss ihre soziale Agenda so großmäulig vertreten wie Dobrindt und Co. ihre flüchtlingsfeindliche.

Wer bestimmt? Nahles, Kauder und Dobrindt bei der Koalitionsklausur auf der Zugspitze Foto: dpa

E s klingt absurd, ist aber wahr. Will die SPD überleben, muss sie von der CSU lernen. Die bayerische Regionalpartei führt seit Wochen vor, wie man aggressives Agenda-Setting betreibt. Seehofer sagt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Söder hängt Kreuze in Behörden auf. Und Dobrindt dominierte zuletzt mit seinem Wettern gegen eine angebliche „Anti-Abschiebungsindustrie“ in Deutschland den Diskurs.

Was solche populistischen Vorstöße bewirken, wurde zu Recht oft und scharf kritisiert: Die CSU schürt billige Ressentiments gegen Geflüchtete, sie feuert Ängste an, weil sie glaubt, mit einer Wir-gegen-die-Stimmung ihre absolute Mehrheit verteidigen zu können. Dobrindts Geschwafel diskreditiert Kirchen, Ehrenamtliche und Flüchtlingsinitiativen, die Geflüchtete bei Klagen begleiten – und spricht jenen indirekt die Nutzung legitimer Rechtsmittel ab.

Aber lässt man die Inhalte mal beiseite und bewertet die CSU-Strategie nach Kriterien des Marketings, bleibt eine nüchterne Erkenntnis: Die CSU agiert hochprofessionell, ja: genial. Sie zwingt uns, sich mit ihr zu beschäftigen.

Das ist eine enorme Leistung. In der Aufmerksamkeitsökonomie konkurriert auch und gerade die Politik um das knappe Gut Aufmerksamkeit. Mit immer neuen Zuspitzungen bestimmt die CSU die Schlagzeilen über diese Koalition. Sie besetzt offensiv den Diskursraum, von dem sie vermutet, dass er WählerInnen besonders wichtig ist.

Eine sich selbst verstärkende Spirale

Hinter dieser Strategie steckt harte, kühl kalkulierende Arbeit. Ein knapper, aber Assoziationen frei setzender Begriff wie „Anti-Abschiebungsindustrie“ muss einem erst einmal einfallen. Dobrindt platzierte ihn in der Bild am Sonntag kurz vor dem Start einer Klausurtagung der Koalitionsfraktionen.

Timing und Inszenierung sind perfekt. Die Reflexe der politischen Konkurrenz fielen entsprechend aus, all die wütenden Entgegnungen bescherten der CSU noch mehr Aufmerksamkeit. Es ist eine sich selbst verstärkende Spirale.

Ob ein Vorstoß sinnvoll ist oder nicht, ist in diesem Konzept zu vernachlässigen. Vielmehr haben die CSU-Debatten oft gemeinsam, dass ihnen der konkrete politische Kern fehlt. Was folgt daraus, wenn der Islam nicht zu Deutschland gehört? Will Seehofer Moscheen verbieten, Muslime aus dem öffentlichen Dienst verbannen oder Artikel 4 des Grundgesetzes umschreiben (das ist der mit der Religionsfreiheit)?

I wo. Seehofer geht es nicht um reale Änderungen, ihm geht es um Gefühle. Die CSU streichelt die deutsche Volksseele, oder zumindest das, was sie sich darunter vorstellt.

Die SPD als fleißige Sachbearbeiterin

Und die SPD? Die Sozialdemokraten regieren bisher geräuschlos mit, wie eigentlich immer. „Wir sind der Motor der Koalition“, sagt Andrea Nahles stolz. Doch der, um im Bild zu bleiben, schnurrt sanft und leise wie ein Kätzchen. Beim Streit um die Liberalisierung von Paragraph 219a, dem Werbeverbot für Abtreibungen, steckten die Sozialdemokraten zurück, weil sich die Unionsfraktion aufbäumte. Und Finanzminister Olaf Scholz präsentierte eine brave Finanzplanung, die keinen Millimeter vom Kurs Wolfgang Schäubles abweicht.

Die Rolle der fleißigen Sachbearbeiterin ist der SPD bestens vertraut. Schließlich hat sie schon zweimal brav an der Seite Merkels regiert. Das Ergebnis waren 20,5 Prozent, ein historischer Tiefstand. Wann lernt die SPD endlich daraus? Wenn sie überleben will, muss sie tun, was ihre Spitzenleute seit Monaten mantrahaft verkünden. Sie muss neben der Union ein kantiges Profil entwickeln – und als linke Volkspartei erkennbar werden.

Dazu gehört, auch mal kräftig auf den Gong zu hauen. Gesehen und gehört wird in der Mediengesellschaft, wer zuspitzt – und ins Risiko geht. Während die CSU auf einen ressentimentgeladenen Populismus setzt – und damit wenig Erfolg gegen die AfD hat –, müsste die SPD solidarische, inklusive Botschaften knackig platzieren. Warum hat die SPD den Streit beim Paragraph 219a nicht eskaliert? Nahles hätte sagen können: Wir stehen an der Seite der Frauen. Punkt. Dann hätte Merkel den Streit in der Unionsfraktion gehabt.

Oder Scholz und das Finanzministerium, auf das die SPD so stolz ist. Was hindert den SPD-Mann daran, vor der Haushaltspräsentation markig darauf hinzuweisen, dass Deutschland mit einer fairen Erbschaftsteuer seine Bildungsinvestitionen vervielfachen könnte? Dass die SPD im übrigen die große Ungleichheit für hochproblematisch hält? Man weiß es nicht.

Wenn sich die SPD weiter an Spiegelstriche des Koalitionsvertrages klammert, macht sie den kleinsten gemeinsamen Nenner mit der Union zu ihrer Richtschnur.

Warum pusht SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil nicht engagierter den Mindestlohn von 12 Euro, den Scholz und er im November forderten – im toten Raum zwischen Bundestagswahl und Sondierungen, als es um nichts ging? Soll doch die Union dagegen halten, dass der Mindestlohn zum Wohle der Unternehmen leider so niedrig bleiben muss, dass Arbeitnehmer später in der Altersarmut landen.

Wenn sich die SPD weiter an Spiegelstriche des Koalitionsvertrages klammert, macht sie den kleinsten gemeinsamen Nenner mit der Union zu ihrer Richtschnur. Das wäre selbstzerstörerisch.

Politik funktioniert ja oft so: Was gesagt wird, hat große Chancen, irgendwann Wirklichkeit zu werden. Würde die SPD eine soziale Agenda so großmäulig vertreten wie die CSU ihre flüchtlingsfeindliche, wäre viel gewonnen. Für die Partei – und das ganze Land.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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14 Kommentare

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  • Aber vielleicht ist es einfach so, dass die CSU ihre Einwanderungsfeindlichkeit tatsächlich vertritt, wohingegen die SPD-Grössen eine sozialere Politik wirklich nicht wollen.

    Ich mein, nach 20 Jahren könnte man endlich mal mit der Hypothese arbeiten, dass die SPD nicht nur versehentlich höchst unsozial und kapitalnah agiert.

  • ÄTSCHIBÄTSCHI...

    eine demokratie, die den staat solchen politischen eliten anvertraut, begeht insolvenzverschleppung

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Danke für diesen netten "Goodwill-Artikel" für Parteien, die außer Marketing-Gags, Aufmerksamkeitserheischung und Selbstdarstellung aber auch rein gar nicht zu bieten haben, außer zur Mitte zu streben und am rechten Rang nach Beifang zu suchen. Toll - die TAZ als Steigbügelhalter für eine politische Kaste, denen das politische schon längst abhanden gekommen ist und die noch nichteinmal eine Idee davon haben, was denn wohl das Wohl der Bürger/-innen sein könnte. Und die sich auf meine Kosten ständig an irgendwelchen Ausflugsorten kennenlernen müssen.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Lieber Ulrich Schulte, sofern Sie mit dem Appell an die SPD nicht dem "Weiter so!" das Wort reden wollen und mit der Sozialen Agenda nicht die Fortführung von Hartz IV meinen, stimme ich Ihnen zu. Früher hieß es mal: vom Klassenfeind lernen. Heute genügt es einstweilen, vom politischen Gegner zu lernen.

  • "Will die SPD überleben, muss sie von der CSU lernen. Sie muss ihre soziale Agenda so großmäulig vertreten wie Dobrindt und Co. ihre flüchtlingsfeindliche."

     

    Die SPD hat bloß keine soziale Agenda. Eher eine asoziale.

     

    Aber auch, wenn sie marketingtechnisch höchst gewieft und gekonnt auftreten würde und uns ihre Schoko Bons als "das Beste aus der Milch mit gesunder Schokolade überzogen" verkaufen würde - die Leute haben's gelernt und verstanden.

     

    Nicht mal 12€ die Stunde würden die SPD retten. Meine Mutter jobbt mit ihren 75 Jahren immer noch (nicht gerade zum Spaß) und vor 23 JAhren hatte sie beim jetzigen Arbeitgeber 14 DM die Stunde. vor dem Mindestlohn waren es hinter einer PAuschale versteckte 6,92€. Jetzt halt Mindestlohn.

     

    So verarscht wurden in den letzten 20 Jahren zig Millionen: https://pbs.twimg.com/media/DRQiza1WsAE0Ntl.jpg

  • & Däh! - Mailtütenfrisch aus deutschen Landen - ;)

    Frisch ins Gesicht!;) - Jau. Dess - Dess schadet nicht!

    Nö. Na - Alder! Laß Hören - Voll auf die Öhren!

     

    "Welch eine Instinktlosigkeit.

    Wer hat sich das ausgedacht?

    Ein Kreuz ist ja schon mal da.

    Meines bekommt von denen keiner mehr.

     

    " Will die SPD überleben, muss sie von der CSU lernen.

    Sie muss ihre soziale Agenda so großmäulig vertreten wie Dobrindt und Co. ihre flüchtlingsfeindliche. "

     

    Schreibt Herr Ulrich Schulte,

    dem ich gern mal in die Suppe s...

    Natürlich nur im Konjunktiv

    denn ich bin schließlich nicht naiv.

     

    Bin ja auch kein Journalist,

    der noch versucht, selbst größten Mist

    positiv zu kommentieren.

     

    Da muss man den Verstand verlieren.

    Wahrscheinlich ist der schon dahin.

    Nur noch Idioten suchen Sinn."

     

    Danke. Wer aber - Wollt es wagen?

    Da - " Ja - aber ..." zu sagen!

    Oder doch eher - "Knappersmann oder Ritt!

    Zu - Tauchen weiter - In solch dero Schitt!

    Nein. Nein. - Danke - ich ersticke!

    Die Scheiße - Ist mir doch zu dicke!

    Denn. Merke. "Nur ungern nimmt der Handelsmann.

    Statt barer Wahrheit - Stuhlgang an."

     

    Hier aber. Wollnmers Belassen - Sein Bewenden!

    Gell. Denn. Wer weiß - Womer sonst gar noch Enden!;)(

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Der mit dem Handelsmann war einfach vorzüglich.

  • Lässt man die Inhalte mal beiseite, werter Herr Schulte, und bewertet die CSU-Strategie nach Kriterien des Marketings, lautet die nüchterne Erkenntnis: Sender und Empfänger müssen zu einander passen, sonst wird das nichts mit der Gedankenübertragung.

     

    Wenn Kauder und Dobrindt authentischer wirken, ist das nicht wirklich ihr Verdienst. Es liegt daran, dass sich Leute, die vor lauter Selbst- und Fremdenhass nicht mehr klar denken können, leichter betrügen und belügen lassen als andere. Geben Kauder und Dobrindt das Arschloch, fühlen ihre Wähler sich verstanden. Auch, weil ihre Idole nicht zögern zu tun, was sie versprechen.

     

    Andrea Nahles hat es deutliche schwerer. Ihre Zielgruppe ist weniger autoritätsgläubig und weniger verbohrt. Wenn Nahles sich solidarisch und inklusiv gibt, fällt dieser Schwindel sehr viel eher auf. Auch, weil ihren großen Worten nicht einmal kleine Taten folgen. Nahles‘ Wähler fühlen sich nicht verstanden, sondern verarscht. Was daraus folgt, kann man an Wahlsonntagen auszählen.

     

    Merke: Die Aufmerksamkeits-Ökonomie ist eine Ökonomie wie jede andere. Sie bestraft gnadenlos jeden, der sich am Markt verspekuliert.

    • @mowgli:

      Jau - Die Geschichte der 70er*!;))

       

      Das wird dereinst ein weites Feld der Analyse!;)

      Dazu schon mal diese -"Robert-Koch-Straße zu Rudi-Dutschke-Straße? Warum nicht gleich Nägel mit Köppen!

      Na.´Unter den Linden` zu ´Unter den Axeln`!

      Höhnte einst - Harry Rowohlt.

      &

      Liggers - werter Herr Ulrich Schulte!

      Genau. Genau. Warum auf halbem Wege stehen bleiben?

      Aufmerksamkeits-Ökonomie - Braucht klares Labeling!

       

      Söder hat´s für das Hohe Doppel-C bei CSU/CDU - doch via -

      "Kreuze zu Amtsstuben"!;) - Gellewelle - Deutlichst gemacht!

      Nix christlich-kirchlich. Nö. Bloß soran - Identitätszeichen!

      Heimat. Na - Si´cher dat. Da mähtste nix. Normal.

       

      Nu. Labeling muß die SPezialDemokratie zwar noch lernen.

      But. Marker - Zusätze - Machen unterscheidbar erfolgeicher!

      Nu. Kann aber geschichtlich fein anknüpfen. Wollnichwoll.

       

      Däh! & Luurens all!;) ~> "USPD" - vulgo "Hugo Haases Achterbahn" & Jau. SAP - Einst mit Herbert Frahm -

      Eh er sich denn Brandt sein Willy nahm.

      & hück ~>

      Die alte Tante SPD bei EnkelInnen - Unter die Räder kam.

       

      kurz - Vorschläge zur Güte - für SPD & taz - frisch ausse Tüte.

      "aSPD" - Laß ich mal für Klarheit stehn. Ob mit großem "A"

      Dess wermer dann doch schon noch sehn!

      &

      "e-taz- Linkes Portal i.A." - Dess meint weniger des Esels -

      Schrei!

      Nein " in Abwicklung" - Genügt vielmehr endlich dem UWG.

      Juchei!

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      Eine vortreffliche Analyse! Insbesondere die Differenziertheit beim Aufzeigen der Wirkungen von Herrn Kauder/ Dobrindt und Frau Nahles. Sie bedienen ein anderes Klientel ... und die Unionsspitzen haben es deutlich leichter.

  • Bitte nicht. Dobrindt ist bei allen unten durch. Er hat auf der ganzen Linie versagt und gilt als korrupt. Von Digitalisierung über Wohnungsbau bis Dieselgate - nur hochbezahltes Versagen. Ihm nimmt nicht einmal der rechte Rand die Parolen mehr ab.

  • Ich halte nicht von Dobrindt. Für mich ist er eine politische Null

  • Die SPD kann nicht als linke Volkspartei erkennbar werden. - Sie ist weder links

    noch eine Volkspartei.

    Und Populismus zur Wiederbelebung einer schon längst Verblichenen ist eine

    obszöne Angelegenheit.

    Eben: Pfui Deifi- wahr gesprochen,

    "LOWANDORDER".

  • Na Servus & Pfui Deifi!

     

    Den Teufel mit dem Beelzebub. Gellewelle.

    &

    Dazu passend a Fotto - "Drei Kotzbrocken vorm golden Gipfelkreuz "

     

    kurz - Die eine eine Frage - Auf der dafür ersichtlich nach unten offenen Skala!

    Wohin bitte? - Woll´ter denn noch - Verludern!